Determinismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Determinismus

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Definition: Der Determinismus (lat. determinare: begrenzen, bestimmen) in seiner radikalsten Form postuliert, dass alles Weltgeschehen durch vorgegebene Bedingungen (Determinanten) eindeutig u. unausweichlich festgelegt ist. Der theologische Determinismus, für den alles Sein „von Ewigkeit her“ durch Gott vorherbestimmt ist (Prädestination), setzt sich im physikalischen Determinismus der Neuzeit fort. In dessen, von der Naturgesetzlichkeit beherrschtem, Weltbild ist die Kausalität das alles bestimmende Prinzip, das nicht nur für die physikalische Welt, sondern allgemeingültig ist.

Information: D. Hume (1711-1776) wandte seinen kausalen Determinismus, „die Lehre von der Notwendigkeit „ oder „von der konstanten Verknüpfung“, sowohl auf die Naturwissenschaft, als auch auf die Sozialwissenschaften und philosophische Bereiche an. Bei der Diskussion der moralischen Notwendigkeiten argumentiert er gegen den freien Willen. An diesem ethischen Problem scheiden sich in der Folgezeit der „harte“ vom „weichen“ Determinismus. Für ersteren ist die Willensfreiheit eine Illusion. Letzterer versucht, Freiheit und > Ethik aus der strengen Determiniertheit herauszulösen. Für I. Kant ist es eine unumgängliche Folgerung aus den Ergebnissen der rationalen und empirischen Naturwissenschaft, dass in der, uns kategorial vermittelten, Erscheinungswelt ein strenger Determinismus herrscht. Diesem „notwendigen“ physikalischen Determinismus der Erscheinungswelt stellt er einen moralischen Indeterminismus gegenüber und vertritt die Auffassung, dass der Mensch als moralisches Wesen nicht determiniert sein könne. Der rigorose Determinismus duldet aber solche Ausnahmen von der strengen Reduktion auf Kausalität nicht. Deshalb gibt es für ihn keine indeterministischen Ereignisse: Zufälle, Wahrscheinlichkeiten, Emergenz von völlig Unerwartetem, Unvorhersehbarem, Neuem, das aus der vorangegangenen empirischen Welt nicht ableitbar ist. Unerklärbare Ereignisse sind nur scheinbar akausal, sie stellen sich dem Menschen nur aus Mangel an Wissen als solche dar. Es kann demnach auch nichts prinzipiell unvorhersehbar geschehen.

In der klassischen (Newtonschen) Physik bleibt der Determinismus lange Zeit der herrschende, kaum infrage gestellte wissenschaftliche Standpunkt. Erst nach über 200 Jahren fällt dieses „Dogma des Rationalismus“ (Popper) durch die Ergebnisse der neuen Atomphysik (Quantenmechanik). Die moderne Physik rechnet mit objektiven zufallsartigen Ereignissen; neben invarianten Gesetzen kann es auch die Emergenz von Neuem, reduktiv-kausal nicht Ableitbarem geben („schöpferische Emergenz“, Quantensprung). An die Stelle der streng kausalen Aussagen treten, zumindest teilweise, Wahrscheinlichkeitsaussagen und probabilistische Verwirklichungstendenzen. Angesichts des „fundamentalen Indeterminismus des physischen Universums“ müssen die Theoriepositionen der psychoanalytisch-tiefenpsychologischen Therapieverfahren überprüft werden, die auf einem strengen psychologischen Determinismus basieren (vgl. Freud, GW 10 S. 54; GW 11 S. 42 u. 104). Im > Assoziationsexperiment geht C. G. Jung davon aus, dass das psychische Geschehen nicht von Zufälligkeiten regiert wird, weshalb er auch die Willensfreiheit des Menschen infrage stellt (Jung, GW 2, § 868). Die deterministische Grundposition Jungs wird, durch seine Ausführungen zum Synchronizitäts-Prinzip (> Synchronizität), nicht infrage gestellt (vgl. Jung, GW 8). Die Synchronizitäts-Relation ist wie die Kausalitätsrelation ein deterministisches Konstrukt. Besteht bei der Kausalität eine gegenseitige Determiniertheit innerhalb der Relation „Ursache-Wirkung“, so bilden die Glieder der sinngemäßen Koinzidenz, „Sinn“ und „Gleichzeitigkeit“, ebenfalls einen Zusammenhang, der gegenseitige Determiniertheit voraussetzt. Sonst würden sich ja Synchronizitäts-Phänomene nicht von Zufallsereignissen unterscheiden. Im Werk Jungs finden sich viele Formulierungen, die zu einem von ihm nicht gemeinten, mehr oder weniger latenten extremen Determinismus mit fatalistischem Anstrich verführen können. Allerdings nur, wenn Jung punktuell gelesen wird, denn in den Duktus seines Gesamtwerkes lassen sich solche Positionen, mit einseitig deterministischer Tönung, nicht einfügen. Es ist in der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) ohne Zweifel davon auszugehen, dass Archetypen (> Archetyp) in die Gestaltung des Seelenlebens eingreifen. Es widerspräche aber den Vorstellungen Jungs, wenn ihr psychisches Wirksamwerden als eindimensionaler, kausaler Vorgang gesehen und in diesem Sinne von einer archetypischen Matrix, archetypischen Chiffren oder von einem eindeutig, festgelegten, genetisch codierten Archetypus gesprochen würde. Für Jung ist der Archetyp per se ein formal unbestimmtes Gebilde (Jung, GW 9, 1 §142), deshalb kann er nicht Ursache seiner psychischen Manifestationen sein, sondern nur deren Bedingung. Was aus den archetypischen Einflüssen konstelliert (> Konstellation) und psychisch wirksam wird, ist letztlich unvorhersehbar. Die psychischen Manifestationen der Archetypen sind nicht nur endogenen Einflüssen ausgesetzt, sondern auch exogenen. Zusätzlich verändern sich die archetypischen Vorstellungen durch das vom Bewusstsein gesteuerte Wahrgenommen-Sein des Archetypus (Jung, GW 9, 1 §6). Dieser Indeterminismus gilt auch für den > Individuationsprozess, der erfahrungsgemäß kein genetisches Entwicklungsprogramm mit vorher festgelegtem Ablauf und Ziel ist. Eine individuierte Existenz wäre gar nicht denkbar, wenn sie allein durch das > Selbst, das als Archetyp ein kollektives Phänomen ist, in Form einer vorgegebenen unbeeinflussbaren endogenen Codierung zustande käme. Ein globaler Determinismus verbietet sich innerhalb der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) schon deswegen, weil diese den schöpferischen Prozessen eine große Bedeutung innerhalb des Seelenlebens zuschreibt. Immer hängt es von dem „schöpferischen Zusammenspiel“ (Neumann) aller inner- und außerpsychischen Kräfte ab, zu welcher Realisierung die psychischen Prozesse führen (vgl. Neumann, 1963, S. 146f, 160).

Literatur: Jaffé, A. (1983): Der Mythus vom Sinn im Werk von C. G. Jung; Neumann, E. (1954): Kunst und schöpferisches Unbewusstes; Popper, K. R. (1993): Objektive Erkenntnis.

Autor: H. Schulz-Klein