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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Matriarchat
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Definition: Matriarchat (lat. mater: Mutter; griech. archein: herrschen), Mutterherrschaft, von J. Bachofen auch als Mutterrecht bezeichnet, (vgl. Bachofen, 1861) beschreibt Gesellschaften, in denen Frauen in politischen, sozialen und kulturellen Bereichen die Herrschenden, und die Männer ihnen untergeordnet sind. Bachofen behauptet die Existenz von mutterrechtlichen Gesellschaften aufgrund von Untersuchungen und Rekonstruktionen der gesellschaftlichen Stellung der Frau in den mutterrechtlichen Gesellschaften der Antike. Weder die Geschichtswissenschaft noch die Ethnologie können aber nachweisen, dass es solche sozialen und politischen Systeme tatsächlich gegeben hat, sodass ihre Existenz inzwischen für unwahrscheinlich gehalten wird. Gültig ist aber die von Bachofen beschriebene matrilineare Filiation.
Information: Filiationsregeln betreffen die Abstammung eines Menschen, legen die Verwandtschaft und die Verwandtschaftsgruppe fest, deren Mitglied der Einzelne automatisch wird, ohne dass er die Wahl hat. Bei der matrilinearen Filiation gilt nicht die zweilinige Blutsverwandtschaft zu Vater und Mutter (kognatische Verwandtschaft), sondern eine einlinige (agnatische Verwandtschaft). Mitglieder der jeweiligen matrilinearen Gruppe sind gemäß der matrilinearen Verwandschaftsregelung, "alle Frauen, Männer und Kinder, die ihre Abstammung in der weiblichen Linie auf eine und dieselbe Stammmutter zurückführen können, also über die Mutter, Großmutter, Urgroßmutter usw. " (Wesel, 1980, S. 149). Diese Filiation ist in vielen Gesellschaften nachgewiesen, und es steht außer Zweifel, dass matrilineare Verhältnisse den sozialen Status der Frauen stärken. Sie betreffen nicht nur die Namengebung oder das Erbrecht. Zwei häufig, und nur in Verbindung mit der Matrilinearität, beobachtete Elemente bedingen zusätzlich eine Verstärkung des gesellschaftlichen Gewichts der Frauen. Das eine ist die Matrilokalität, worunter eine Residenzregelung verstanden wird, bei der der Mann, die Frau und Kinder am Wohnort der Lineage (Verwandtschaftsgruppe) der Frau leben. Das andere ist die Matrifokalität. Diese ist gegeben, wenn Gesellschaften in ihrer gesamten Ordnung auf die Frauen ausgerichtet (Fokus = Mittelpunkt) sind, sodass ein gesellschaftliches Übergewicht der Frauen gegenüber den Männern entstehen kann. Letzteres ist aber nur ausnahmsweise, bei speziellen Konstellationen der Fall (z. B. bei den Irokesen). Außerdem führt selbst ein nachgewiesenes Übergewicht des weiblichen Geschlechts, etwa durch mehr Recht, in keinem der, von der Ethnologie erforschten, Fälle zu einer individuellen Schlechterstellung der Männer. Von Herrschaft der Frauen kann in keinem Fall gesprochen werden. Abgesehen von der Herrschaftsfrage liegt ein weiterer Irrtum Bachofens in der Annahme, dass die von ihm entdeckte, aber nicht so benannte, matrilineare Gesellschaft eine allgemeine, einheitliche Kulturstufe der Menschheit ist, die am Anfang der gesellschaftlichen Entwicklung steht. Die Ethnologie hat inzwischen nachgewiesen, dass es matrilineare Gesellschaften mit sehr guter, aber auch mit sehr schlechter Situation der Frau gibt und sogar matrilineare Gesellschaften, in denen die Männer dominieren. Die ethnologischen Forschungen finden auch keinerlei Anhaltspunkte für eine historische Abfolge oder Evolution von Matrilinearität und Patrilinearität im Sinne einer allgemeinen Gesetzlichkeit.
Wenn im psychologischen Bereich die Begriffe Matriarchat oder matriarchal benutzt werden, so darf das nur unter der Voraussetzung geschehen, dass die Aussagen nicht die geschichtliche, soziologische und ethnologische Realität, sondern nur das psychologische Geschehen betreffen. In der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) hat sich insbesondere E. Neumann unter Beachtung dieser wichtigen Prämisse mit dem "Matriarchat" beschäftigt. (> Bewusstsein, matriarchales > Bewusstseinsentwicklung: Mythologische Stadien) Sein Interesse gilt nicht der realen politisch-sozialen Ursituation der Menschheit oder der Frage nach einer früheren "Herrschaft" der Frauen, sondern der Ursituation der Psyche, dem "psychologischen Matriarchat" (Neumann, 1963, S. 105) mit der "Herrschaft des Archetyps der großen Mutter" (Neumann 1956 S. 95): "Ob die Herrschaft dieser archetypisch "weiblichen" Welt mit einer ökonomisch oder politisch hervorragenden Position der Frau verbunden ist oder nicht, ist dabei irrelevant. " (Neumann, 1956, S. 94f). In diesem Sinne ist auch das umfangreiche entwicklungspsychologische Modell "Vom Matriarchat zum Patriarchat" (vgl. Neumann, 1963) zu verstehen. Neumann sieht die psychische Entwicklung des Menschen von der Mutter zum Vater verlaufen, und die Beschreibung der matriarchalen und patriarchalen Phasen bzw. Strukturen in der menschlichen Entwicklung ist dabei weder biologisch noch soziologisch gemeint, sondern eben psychologisch. Frauen können stark vom "patriarchalen Bewusstsein" (> Bewusstsein, patriarchales) und umgekehrt Männer vom "matriarchalen Bewusstsein" (> Bewusstsein, matriarchales) bestimmt sein.
Literatur: Neumann, E. (1949 a): Ursprungsgeschichte des Bewusstseins; Wesel, U. (1980): Der Mythos vom Matriarchat.
Autor: H. Schulz-Klein