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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Selbstempfinden
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Definition: Das Selbstempfinden (wie das Kind sich selbst empfindet) bezeichnet ein psychisches Phänomen aus der frühen Entwicklungsgeschichte des Selbst (sense of self), dessen Entwicklung von W. Stern auf der Basis der psychoanalytischen Selbstpsychologie und der modernen Säuglingsforschung detailliert beschrieben wird (Stern, 1992). Stern betrachtet das Selbst(empfinden) als "Organisationsprinzip der Entwicklung" (Stern, 1992, S. 46), was zweifellos eine Annäherung an das Modell der > Analytischen Psychologie darstellt, bei dem das Selbst vor allem auch als Zentrum und Dynamis der "Selbststeuerung" gesehen wird.
Information: Stern unterscheidet 5 Stufen in der Entwicklung des Selbstempfindens. Am Anfang steht das auftauchende Selbstempfinden ("sense of emergent self“), das sich zwischen 0 und 2 Monaten entwickelt. Das Wort sense als Verb bedeutet u. a. empfinden, fühlen, spüren, ahnen. In diesem Sinne ist das früheste Selbstempfinden ein präkognitives Gewahrwerden, das sich grundsätzlich von "Kenntnis oder Gewahrsein des Selbst" (Stern, 1992, S. 6) unterscheidet. Es handelt sich um einzelne, inselhafte "Auftaucherlebnisse", die zunächst unverbunden nebeneinanderstehen. Erst im Laufe der Zeit kommt, ebenfalls auftauchend, die organisierende Funktion bei dem singulären Gewahrwerden von Selbstaspekten zur Wirkung). Durch sie verliert das auftauchende Selbstempfinden allmählich seine Begrenzung auf den Gegenwartshorizont, die "Selbst-Geschichtlichkeit" ist entstanden, Gedächtnis, und damit die Fähigkeit, die Einzelereignisse untereinander in Beziehung zu setzen. Erst jetzt ist ein erfahrungsgeleitetes Wahrnehmen des Selbst möglich, der Säugling steht nunmehr sich selbst (und der Welt) im engeren Sinne wahrnehmend gegenüber. Zuvor herrscht ein präkognitiver, präseparierter, präreflexiver Zustand psychischen Lebens. Man kann ihn auch präpsychisch, protopsychisch (Dornes, 1997, S. 211) oder psychobiolologisch (ders. 1993, S. 191) nennen, was mehr eine Frage der Wortwahl und keine essenzielle Unterscheidung ist. Auf jeden Fall ist der Zustand unbewusst und vorichhaft. Auf der nächsten Stufe, dem Kernselbstempfinden (sense of core self), zwischen dem 2. und 6. Monat, empfindet der Säugling, dass "er und die Mutter“ körperlich getrennt sind. Es geht hier vornehmlich um das "körperliche Selbst", um die "kohärente physische Identität". Beim subjektiven Selbstempfinden (subjectiv sense of self) ab dem 7. bis 9. Monat entdeckt der Säugling die eigene Subjektivität (und die des "Anderen“). Nun stehen nicht mehr allein die physische Gegenwart, sondern darüber hinaus "subjektive mentale Zustände - Gefühle, Motive, Absichten -" (Stern, 1992, S. 48) im Mittelpunkt. Das subjektive Selbstempfinden eröffnet auch die Möglichkeit der intersubjektiven Bezogenheit. Verbalisierungen spielen auf der Stufe des Kernselbstempfindens, des subjektiven Selbstempfindens und der entsprechenden Bezogenheit noch keine Rolle. Erst ab dem 15. - 18. Monat, auf der Stufe des verbalisierten Selbstempfindens, ist sprachlicher Austausch möglich. Erweitert wird die sprachliche Dimension schließlich auf der Stufe des narrativen Selbstempfinden (sense of a narrated self]]) im Alter von 3-4 Jahren. Nun ist eine vorläufige Höchstform der Wahrnehmung erreicht, mit der Fähigkeit, „das Selbst zu objektivieren, selbstreflexiv zu sein, Sprache zu verstehen und zu benutzen" (Stern, 1992, S. 49).
Information: Frappierend ist, wie sich die entwicklungspsychologischen Positionen Sterns mit denen von C. G. Jung und E. Neumann decken, obwohl beide sich nicht auf umfangreiche empirische Untersuchungen stützen konnten. Wie Stern beschreibt auch Jung die Verquickung der Entwicklung der Beziehungsfähigkeit zur Mitwelt mit derjenigen, die zum Selbst besteht, oder er spricht im Hinblick auf den frühesten Innenhorizont von insulärer Diskontinuität, vom psychologischen Zustand des Nichterkennens. Neumann beschreibt ganz im Sinne von Stern einen Manifestationswandel des Selbst. (vgl. Schulz-Klein, 2000). Die frühen Selbstmanifestationen sind von grundlegender Bedeutung, denn alle späteren Ausformungen des Selbst und des Beziehungsgeschehens zur Mit- und Umwelt bauen auf den ersten Formen der Selbst- und Weltbegegnung auf.
Literatur: Dornes, M. (2011): Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen; Dornes, M. (1997]]): Die frühe Kindheit; Stern, D. N. (1992): Die Lebenserfahrung des Säuglings; Schulz-Klein, H. (2000): «Von den Wurzeln» und zur «Ursprungsgeschichte » der Psyche.
Autor: H. Schulz-Klein