Sexueller Missbrauch

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Keyword: Sexueller Missbrauch

Links: > Inzest > Sexualität > Trauma

Definition: Unter sexuellem Missbrauch (> Sexualität) im weiteren Sinne werden nicht nur der > Inzest, sondern auch die Vergewaltigung und andere sexuelle Handlungen, die das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzen oder unterlaufen, verstanden. Sexueller Missbrauch im engeren Sinne wird verstanden als die Inanspruchnahme von abhängigen, entwicklungsmäßig unreifen Kindern oder Jugendlichen (> Adoleszenz) für sexuelle Handlungen, gegen die diese sich nicht zur Wehr setzen können, oder die sie aufgrund ihrer entwicklungsbedingten Unreife nicht gänzlich verstehen können und in die einzuwilligen sie nicht imstande sind, weil sie nicht die Fähigkeit haben, Umfang und Bedeutung der Einwilligung zu erkennen. Durch die Missbrauchshandlungen werden soziale oder familiäre Tabus (> Familie) verletzt. Täter verbinden ihre Handlungen deshalb meist mit einem Schweigegebot und verstärken dadurch die Hilflosigkeit der Opfer. Die Missbrauchhandlungen sind außerdem nicht nur rein sexueller Natur, sondern Ausdruck einer manipulativen Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen im Sinne eines sexualisierten Machtmissbrauches (> Macht).

Information: Sexueller Missbrauch kann zu schwerer psychischer Traumatisierung (> Trauma) führen. Für die Schwere des, durch den Missbrauch verursachten psychischen, Schadens sind außer individuellen auch verschiedene mit der Missbrauchssituation verbundene folgende Faktoren entscheidend: So ist neben der Häufigkeit des Missbrauchs, dem Zeitraum, über den sich die Missbrauchshandlungen erstrecken, dem Alter des Opfers und dem Altersunterschied zwischen Täter und Opfer vor allem auch die Art des Missbrauchs von Bedeutung. Man unterscheidet sexuellen Missbrauch ohne Körperkontakt (z. B. wenn ein Kind sexuellen Handlungen Erwachsener beiwohnen muss, Pornofilme anschauen muss etc.) und solchen mit Körperkontakt.

Missbrauch mit Körperkontakt kann nach der Intensität des Körperkontakts eingeteilt werden in Missbrauch ohne direkten genitalen Kontakt (z. B. Berührungen der bekleideten Genitalien oder Brüste des Kindes und Zungenküsse), Missbrauch mit oberflächlichem Genitalkontakt (z. B. Berührungen der unbekleideten Brüste oder Genitalien, Penetration mit dem Finger, simulierter Geschlechtsverkehr: "Schenkelverkehr", versuchter Geschlechtsverkehr) und solchen mit penetrierendem Genitalkontakt (vaginale, anale oder orale Penetration, Fellatio, Cunnilingus, Analingus). Je früher, häufiger, länger und intensiver der Missbrauch stattgefunden hat, desto schwerer sind (bei sonst gleichen individuellen und Umweltbedingungen) die Auswirkungen. Zusätzlich spielen die gleichzeitige Androhung oder Anwendung von Gewalt sowie die körperlichen Folgen des Missbrauchs (Verletzungen, Erkrankungen, Schwangerschaft) eine wichtige Rolle. Die intrapsychische Verarbeitung sexueller Gewalterfahrungen unterscheidet sich von der Verarbeitung rein physischer Gewalterfahrungen. Bei physischen Gewalterfahrungen ist für das Opfer relativ klar erkennbar, wer der Täter ist und wer Opfer, und es ist auch leichter, die schmerzhaften Aktionen des Täters als gegen sich gerichtet zu erleben. Außerdem ist physische Gewalt weniger tabuisiert und weniger schambesetzt. Dies hilft bei der Orientierung in Bezug auf das Trauma und erleichtert die Verarbeitung und Integration desselben, wodurch schließlich zum Täter und zum Trauma Stellung bezogen werden kann. Für das Missbrauchsopfer ist oft wesentlich schwerer zu erkennen, von wem die Gewalt bzw. der Übergriff ausgeht und wer dabei Täter und Opfer ist, da das Opfer oft durch verschiedene (das Erleben sehr verwirrende) Faktoren positiv mit dem Täter in Verbindung steht. Gerade durch diese positiven, Beziehung stiftenden Faktoren kann die Abwehrbarriere unterlaufen werden, mit der sich andere Gewaltopfer intrapsychisch vor ihren Tätern schützen können. Die hierdurch entstehenden Ambivalenzen hinsichtlich der traumatischen Erlebnisse stören eine adäquate Verarbeitung derselben. Es kann in der Folge zu schweren gefühlsmäßigen Verwirrungen hinsichtlich der Differenzierung zwischen eigenen und fremden Affekten, Impulsen, Wünschen und Motivationen etc. kommen. Nach § 174 StG. (sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen unter 16 bzw. 18 J.), § 176 StG. (sexueller Kontakt mit Minderjährigen unter 14 J.), § 177 und § 178 StG. (sexuelle Handlungen, die unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen zustande kommen, unabhängig vom Alter, sind die verschiedenen Formen von sexuellem Missbrauch strafbar.

Keine

Literatur: Fischer, G., Riedesser, P. (1999]]): Lehrbuch der Psychotraumatologie; Schlösser, A., Höhfeld, K. (1998]]): Trauma und Konflikt.

Autor: B. Banholzer