Alchemie, Phasen des Werkes
Keyword: Alchemie, Phasen des Werkes
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Definition: Der alchemistische Prozess wird in verschiedene Phasen unterteilt. Die Rückführung der Materie auf ihre > prima materia und die Herstellung von Gold bzw. des > Stein der Weisen geschieht in einer Vielzahl von alchemistischen Operationen. Diese sind jeweils das Zentrum eines weit gespannten Symbolsystems, um die sich die gesamte alchemistische Bilderwelt anordnen lässt.
Information: C. G. Jung vertritt die Auffassung, dass die Symbolik des alchemistischen Werks weitgehend der Symbolik des Individuationsprozesses entspricht. Indem sie in unterschiedlichster Reihenfolge auftritt und sich auch wiederholt, repräsentiert sie den psychotherapeutischen Prozess als ein zirkuläres Geschehen (Moser, 1991, S. 321).
Die zentralen Phasen des Opus gehen mit einer bestimmten Farbgebung der Materie einher (> Farben. Die Farbe Schwarz (nigredo) bedeutet den Tod der Materie bzw. die Rückführung auf die prima materia. Weiß (albedo) entspricht dem Silber oder der ersten Stufe des Steins, was entweder über eine Vielzahl von Farben (cauda pavonis – Pfauenschwanz) oder direkt aus der nigredo hervorgeht. Rot (rubedo) ist die höchste Stufe des Werkes, der Stein der Weisen, der auch rote Tinktur genannt wird. Als Zwischenphase wird teils die Farbe Gelb (citrinitas) erwähnt.
Psychologisch beinhaltet die nigredo (auch mortificatio, Tod oder putrefactio, Verfaulung genannt) Depression, Rücknahme der Projektionen, Tod, Dissoziation. Nigredo und prima materia sind als „regressus ad uterum“ zentrale Symbole des psychotherapeutischen Prozesses, die zu einer symbolischen Wiedergeburt bzw. Neustrukturierung des Ich-Bewusstseins führen. „Die Form, die die gegenwärtige Persönlichkeit verwirklicht, wird aufgelöst und in die erste Materie, den formlosen Zustand reiner Möglichkeit zurückgeführt, damit eine neue Form oder Wirklichkeit entstehen kann.“ (Edinger, 1990). Die der prima materia (auch Chaos oder massa confusa genannt) zugrunde liegende Einheit liegt oft im Schatten verborgen. Die albedo ist der auf die nigredo folgende Zustand des Gleichgewichts, nach C.G. Jung ein eher idealer Zustand, der mit Leben erfüllt werden muss, d.h. Blut, die rubedo. „Das Weiße und das Rote sind Königin und König, die auch in dieser Phase ihre nuptiae chymicae feiern können.“ (Jung, GW 12, § 334)
Der „chymischen Hochzeit“ (> Coniunctio/Mysterium Coniunctionis > Hierosgamos) kann wieder eine nigredo folgen, ähnlich wie sich im therapeutischen Prozess inzestuöse (> Inzestmotiv) Verschmelzungs- und Trennungszustände abwechseln. In der Bilderserie des Rosarium Philosophorum (historiografische Aspekte siehe Telle, 1980), deren erste Hälfte C.G. Jung der „Psychologie der Übertragung“ zugrunde legt, folgt der coniunctio von König und Königin (Sonne und Mond) der Tod (putrefactio), der gleichzeitig Empfängnis bedeutet (conceptio). Die Seele verlässt die vereinten Körper, die sterben, und geht mit dem Geist eine unio mentalis ein. Die Wiedervereinigung der Seele mit den vereinten Körpern entspricht der albedo und führt zur Erzeugung eines androgynen Wesens (> Androgynie, Hermaphrodit. Diese Projektion und Introjektion der Seele symbolisieren das gemeinsame Dritte bzw. interaktive Feld, wie es in der analytischen Beziehung entsteht. Die gesamte Bilderserie beschreiben N. Schwartz-Salant (1995) P. Mc Lean (1980) und T. Schwind (in: Müller, A., Müller, L., Praxis der Analytischen Psychologie, 2018)
Die weiteren alchemistischen Operationen werden oft mit dem Leitmotiv „solve et coagula“ verbunden, die Trennung und Lösung der Gegensätze und deren erneute Zusammensetzung und Verfestigung i. S. des „Stirb und Werde“.
Die tiefenpsychologische Deutung der wichtigsten Operationen lässt sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Edinger, 1990): Die solutio repräsentiert die Auflösung der Persönlichkeit bzw. des Ichs, aber auch das Enthaltensein in etwas Größerem, z. B. das holding und containing des Patienten durch den Therapeten. Die coagulatio konkretisiert die oft flüchtigen (Geist Mercurius) psychischen Inhalte bzw. Komplexe i. S. einer Ich-Bildung, deren Assimilation die Verbindung des Ich mit dem Selbst stärkt. Gerade archetypische Bilder, die lebensgeschichtlich keine Personalisierung erfahren haben, können in der analytischen Beziehung eine Konkretisierung bzw. coagulatio durchmachen. Die separatio zerlegt die chaotische Mischung (> Chaos) der > prima materia in ihre einzelnen Bestandteile, was psychologisch das Erkennen der Gegensätze und die Stärkung des unterscheidenden Bewusstseins beinhaltet. Der calcinatio, dem Erhitzen eines Stoffes zur Austreibung der verdampfenden Bestandteile, entspricht eine reinigende und läuternde Wirkung (purificatio), wenn die > Komplexe sozusagen im eigenen Feuer ihrer Affekte verbrennen. Die sublimatio bedeutet die weitere Verfeinerung der unbewussten Kontamination i. S. des Aufsteigens zu einem höheren (Bewusstsein-)Standpunkt. In der circulatio verbinden sich Aufwärts- mit Abwärtsbewegung, „das wiederholte Kreisenlassen aller Aspekte des eigenen Wesens“ führt zum „Gewahrwerden eines transpersonalen, die streitenden Faktoren vereinigenden Zentrums“ (Edinger, 1990, S. 179), zum > Selbst.
Literatur: Edinger, E. (1990): Der Weg der Seele; Franz, M. -L., v. (1978): Aurora Consurgens; Jung, C. G.: GW 10, 11, 14; Franz, M. -L., v. (1979): Alchemy; Mc Lean, A. (2000): Alchemy Website; Odajnyk, W. (1993): Gathering the Light; Raff, J. (2000): Jung and the alchemical imagination.
Autor: M. Krapp