Bewusstsein, kollektives
Keyword: Bewusstsein, kollektives
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Definition: Der Begriff des kollektiven Bewusstseins (kollektiv, lat. colligere: sammeln; collectivus: angesammelt) bezeichnet die Gesamtheit des bewussten oder zumindest bewusstseinsfähigen Wissens, der Traditionen, Konventionen, Sitten, Ideale, Werte, Regeln, Normen, Überzeugungen und Vorurteile, nach der sich eine menschliche Kollektivität (> Kollektiv) orientiert. Zum kollektiven Bewusstheit gehören die durch Sprache, Schrift und andere Medien vermittelten Vorstellungen der Wissenschaft, Religion, Ethik, Moral und Kultur; auch das, was man als Geschichts- und Gesellschaftswissenschaft als „Völkergedächtnis“ bezeichnet, sowie der „Zeitgeist“, mit seinen jeweiligen Trends und Modeerscheinungen. Die Inhalte und Werte des kollektiven Bewusstseins erscheinen dem Einzelnen meist als natürlich und selbstverständlich, sodass er sich mit ihnen oft unbewusst und unreflektiert identifiziert (> Identifikation). Der Begriff des kollektiven Bewusstsein deckt sich zum Teil mit dem des psychoanalytischen Über-Ichs (> Überich), bezieht sich aber nicht nur auf die internalisierten (> Internalisierung) Normen, Gebote und Verbote der Eltern und der Gesellschaft, sondern schließt auch die jeweiligen aktuellen Einflüsse mit ein.
Information: Am Anfang seines Lebens ist der Mensch weitgehend eingebettet in das kollektive Bewusstsein der Gemeinschaft, in die er hineingeboren wird. Im Verlauf seiner Entwicklung differenziert sich das individuelle Bewusstsein – bei verschiedenen Menschen in verschiedenen Graden – und gerät dabei meist auch in Konflikt mit dem kollektiven Bewusstsein. Die Spannung zwischen der individuellen Eigenart und dem kollektiven Bewusstsein auszuhalten und zu integrieren (> Integration) ist eine wesentliche Leistung des Individuationsprozesses (> Individuationsprozess).
Auch das kollektive Bewusstsein einer Gesellschaft entwickelt sich fortwährend weiter, dies insbesondere dort, wo dem Einzelnen ein breites Bildungsangebot und die Freiheit zu schöpferischer individueller Entwicklung gegeben werden. Auf dieser Basis kann sich ein Grad von Differenzierung und Verfeinerung des kollektiven Bewusstseins entwickeln, der nachfolgenden Generationen und anderen Kulturen als Orientierung zu dienen vermag.
Die Differenzierung des kollektiven Bewusstseins beginnt in kleinen Gruppen und strahlt dann in die Gesellschaft aus. Die platonische Akademie ist ein Beispiel dafür, aber auch die Entstehung geschichtlichen Denkens im antiken Israel und Griechenland oder die religiöse Toleranz des Omayaden-Reiches in Spanien. Ein wesentliches Merkmal eines differenzierten kollektiven Bewusstseins ist die Fähigkeit, Verschiedenartigkeit auszuhalten, zu integrieren (> Integration) und damit verbundene Konflikte konstruktiv zu bewältigen. Das kollektive Bewusstsein wird in Träumen oft in Gestalt von herrschenden und regierenden Einzelnen symbolisiert.
Autor: G. Sauer