Trauma/Traumatisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Trauma / Traumatisierung

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Definition: Psychische Traumatisierung (griech. trauma: Verletzung, Wunde, starke Erschütterung) ist ein sehr komplexer Vergang, der sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt und noch nicht in allen Einzelheiten vollständig erforscht ist. Man unterscheidet die traumatische Situation, die postexpositorische Reaktion und den traumatischen Prozess.

Die traumatische Situation lässt sich aus dem Zusammenwirken von objektiv fassbaren Gegebenheiten und der subjektiven Bedeutungszuschreibung verstehen. Letztere hängt eng mit biografischen Prägungen zusammen. Das Trauma resultiert aus dem Gefangensein in einer bedrohlichen Situation, welche die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten übersteigt und geht mit massiven Ohnmachtsgefühlen und Gefühlen des Ausgeliefertseins einher. Dies führt zu einer dauerhaften Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses, wenn diese erzwungene Hilflosigkeit vom Opfer als eigenes Versagen und als repräsentative Situation bewertet wird. Dabei haben interpersonelle Traumatisierungen (z. B. Folter, Kindesmissbrauch, Vergewaltigung, Geißelnahme etc.) eher Auswirkungen auf die Beziehungseinstellung, während Traumatisierungen durch höhere Gewalt (z. B. Naturkatastrophen, tödliche oder schwere chronische Erkrankungen, Unfälle) eher die Einstellung zur Umwelt oder zum eigenen Körper beeinflussen. Bei Frauen sind sexuelle Traumata häufiger als bei Männern, bei Männern dagegen Traumatisierungen durch Kampfhandlungen oder höhere Gewalt. Die Traumatisierung erfolgt durch unmittelbares oder mittelbares Erleben (also auch durch Beobachten etc.) von Ereignissen, die eine Bedrohung für Leib und Leben der eigenen oder anderer Personen darstellen.

Information: Das peritraumatische Erleben der Expositionsphase ist gekennzeichnet durch dissoziative Phänomene, die als Schutzmaßnahmen und Reorganisationsversuche des Subjekts zu verstehen sind: z. B. verändertes Raum-, Zeit- und Selbsterleben mit Depersonalisation/Derealisation, Tunnelsicht (Einengung des Blickfeldes), Wahrnehmungsdistanzierung, Gedächtnisstörungen. Es gibt Hinweise, dass im Zustand höchster affektiver Erregung Erlebtes nicht wie normalerweise in den Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität abgespeichert wird, sondern in Form zusammenhangloser Sinnesfragmente (Geruchs-, Bild-, Geräuschfragmente). Diese bleiben lange Zeit wie "eingefroren" im Gedächtnis aktiv und können flashbackartig wiederkehren. Die, in der postexpositorischen Phase auftretenden, Symptome können als Versuch des Organismus verstanden werden, das erlebte Trauma zu verarbeiten, was mehr oder weniger gut gelingen kann. Typischerweise treten die Symptome einer Postraumatischen Belastungsstörung (PTBS, engl. PTSD - Postraumatic Stress Disorder) auf. Die in den Symptomen der PTBS zum Ausdruck kommende intrapsychische Regulation mit dem Ziel einer Reorganisation ist durch ein Wechselspiel von Wiedererleben (Intrusion, ]] > Erinnern) und Abwehr des Erlebten (Verleugnung, Vergessen - um eine erneute Reizüberflutung zu vermeiden) gekennzeichnet. So können z. B. Nachhallerinnerungen (flashbacks) im Wechsel mit Betäubungsgefühlen und emotionaler Teilnahmslosigkeit in Erscheinung treten. Anhaltende Panikzustände oder Zustände emotionaler Erstarrung ("frozen states“) können ein Zeichen für einen entgleisenden Verarbeitungsprozess sein.

Eine Integration des Traumas gelingt, wenn der traumatische Reaktionszyklus - trotz zeitweiliger Entgleisung abgeschlossen werden kann. Das Traumaopfer wird dann zum Überlebenden des Traumas. Wenn diese Integration nicht gelingt, kommt es zum traumatischen Prozess, der durch das Dilemma gekennzeichnet ist, dass sich der Organismus an eine Erfahrung anpassen soll, ohne die Möglichkeit zu haben, sich mit ihr zu konfrontieren und auseinanderzusetzen, weil sie zu unerträglich ist. Dann entwickelt sich entweder eine chronische PTBS (bei insuffizienter Abwehr) oder es kommt zu einer generellen Erstarrung der Persönlichkeit (bei überstarker Abwehr]]). Eine weitere Möglichkeit der Abwehr besteht darin, dass dem Trauma eine erträgliche - aber unrealistische - Erklärung zugewiesen wird, durch die das Opfer seine Ohnmachtsposition in eine Position von Sicherheit und Stärke umwandeln kann (Rationalisierung des Traumas: Annahmen, wie es zum Trauma kommen konnte und präventive Strategien). In der postexpositorischen Phase können unterstützende Umgebungsfaktoren die Verarbeitung des Traumas erleichtern und den Übergang in einen traumatischen Prozess verhindern.

Diskussion : Keine

Literatur: Fischer, G., Riedesser, P. (1999): Lehrbuch der Psychotraumatologie; Lamprecht, F. (2000): Praxis der Traumatherapie; Schlösser, A., Höhfeld K. (1998): Trauma und Konflikt; Wirtz, U. (1993): Seelenmord.

Autor: B. Banholzer