Weise, Alte

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Keyword:Weise, Alte

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Definition:Die Alte Weise stellt den weiblichen Erscheinungsmodus des Archetyps der Weisheit und des Sinnes dar wie der Alte Weise (> Weiser, Alter), der sich in der Gestalt eines alten Menschen - hier einer alten Frau - personifiziert (> Personifikation). Wie alle zentralen Archetypen lässt sich auch dieser nicht nur auf eines der beiden Geschlechter festlegen. C. G. Jungs eigene Forschungen konzentrieren sich auf die männliche Erscheinungsform in Gestalt des Alten Weisen; bei der Erforschung der weiblichen Erscheinungsform der Alten Weisen in Märchen (vgl. Riedel, 1989) finden sich weitgehende Analogien zu der männlichen Form, aber auch spezifische Eigenheiten und Varianten des weiblichen Erscheinungsmodus.

Die wegweisende und sinnstiftende Alte (> Sinn) tritt in > [[Märchen]9 oft als Großmutter auf oder in der unscheinbaren Gestalt eines steinalten, oft armen Mütterchens (> Mutterarchetyp > Mutterbild), das auf Hilfe angewiesen scheint, Hilfe auch fordert und damit zunächst das gute Herz des Helden (> Heldenmythos) oder der Heldin prüft. In überlegener Weisheit vermag die Alte beispielsweise ein Familiendrama (> Familie) zu entwirren, das zur Verstoßung der Tochter geführt hat, und Versöhnung zu stiften. Zugleich zeigt sie sich kundig in allen Wegen des Eros (> Erosprinzip) und der Beziehung, weiß von den Verwicklungen und Entwicklungsmöglichkeiten der > Liebe, ist Schicksalsspinnerin. In manchen Märchen taucht sie als eine Art Initiationsmeisterin (> Initiation) auf, die junge Menschen, Frauen wie Männer, in das Leben einweiht. Relativ häufig tritt sie als "Kräuterfrau" auf, die über großes Heilwissen verfügt (> Hexe), vielfach weiß sie um die Ursachen ausbleibenden Kindersegens und hilft dem ab. Sie weiß noch um die archetypischen Lebensgesetze, ist manchmal eine Gestalt der Mutter Natur selber. Hinter ihr schimmert noch eine göttliche Wesenheit (> Mutter, Große).

Information:Die Alte Weise kann in Tiergestalt auftreten, z. B. als Kröte, als weise Schlange. Gelegentlich nimmt sie auch dunkle Züge an, zeigt sich der Archetyp also in seinem dunklen Aspekt. In ihrem dunklen Aspekt ist sie mit der Gestalt der > Hexe kontaminiert. Doch kann sie aufgrund ihrer Weisheit auch gegenüber den dunklen Aspekten immer wieder Abstand bewahren und kann gerade deshalb in den Bund mit den Helden treten und sie vor den dunklen Absichten ihrer Gegenspieler bewahren. Jeweils am Ende der Märchen beweist sich: Ohne die Begegnung mit der weisen alten Frau wären Heldin oder Held nicht auf die Entwicklungsebene gekommen, auf der sie nun stehen.

In Märchen wie in > [[Träumen heutiger Menschen taucht die weise Alte vor allem dann auf, wenn sich Menschen in seelischer Not und Orientierungslosigkeit befinden. Sie gibt keine fertigen Ratschläge, was zu tun sei, sondern bringt die Heldin - gelegentlich auch einen männlichen Helden - auf den eigenen Erfahrungsweg. Sie mischt sich nicht ein, sondern will aufgesucht und aufgefunden werden.

In Analogie zum Alten Weisen erscheint die Alte Weise als Seelenführerin (> Psychopompos), als Ärztin, Psychotherapeutin, als Lehrerin, Meisterin, Priesterin und als Großmutter. Der geistige Aspekt erscheint in weiblicher Qualität als weibliche Weisheit, die um das rechte Kraut, um die rechte Zeit weiß und die den Ruf der Dinge hört, die getan sein wollen. Güte und Hilfsbereitschaft, die auch den alten Weisen charakterisieren, gewinnen bei ihr einen mehr mütterlichen Aspekt. Was die alte Weise im Gegenüber zum alten Weisen besonders auszeichnet, ist ihr besonderes weibliches Wissen um Eros und Beziehung, das sie der Märchenheldin vermittelt.

Der Archetyp der Alten Weisen kann sich auf dem Hintergrund eines überwiegend positiven > Mutterkomplexes mit geistigen Komponenten entwickeln, wie er z. B. entsteht, wenn eine Frau unter dem Einfluss einer geistig bedeutsamen Muttergestalt, die nicht nur die physische Mutter gewesen sein muss, aufgewachsen ist, z. B. als Tochter oder Sohn einer Ärztin, einer Wissenschaftlerin oder als geistige Tochter einer bedeutenden Meisterin. Ein historisches Beispiel dafür ist das geistliche Mutter-Tochter-Verhältnis zwischen Hildegard von Bingen und Jutta von Sponheim. Über diese Facetten hinaus repräsentiert die Alte Weise häufig auch den weiblichen Aspekt der > Ganzheit des > Selbst.

keine

Literatur:Franz, M. -L. v. (1985 a): Die Suche nach dem Selbst; Riedel, I. (1989): Die weise Frau in uralt-neuen Erfahrungen; Riedel, I. (2000): Die gewandelte Frau.

Autor:I. Riedel