Bios-Prinzip in der Psychotherapie

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Keyword: Bios-Prinzip in der Psychotherapie

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Definition: Das Bios-Prinzip ist die Basis jeder hilfreichen Beziehung, in der es um Betreuung, Unterstützung, Heilung, Regeneration, Genesung geht, sowohl im sozialen Bereich, im Bereich der Kranken- und Altenpflege als auch im Bereich seelischer Begleitung und Entwicklung. Hier kommt es immer darauf an, dass der Mensch einen Ort findet, an dem er einerseits ungestört krank sein kann, in diesem Kranksein und der damit verbundenen Hilflosigkeit, Abhängigkeit und Schwäche angenommen wird und ausreichend Raum und Zeit findet, nach den Möglichkeiten seiner inneren Natur zu genesen (oder auch zu sterben). In einer solchen Situation, die vom Archetyp der positiven großen Mutter geprägt ist, werden die Grundbedürfnisse des Menschen nach körperlicher Versorgung, nach Sicherheit, Schutz, Wärme, Geborgenheit, Zugehörigkeit und Symbiose angesprochen und befriedigt.

Information: Helfer, die sich in Bezug auf ihre Haltung vom Bios-Prinzip leiten lassen, verstehen ihre Rolle häufig in Analogie zu Mutter-Kind-Beziehungen, zu Geburtshelferinnen und Ammen, zu Gärtnerinnen, die das, was wachsen will, hegen und pflegen. Sie vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Organismus und des Unbewussten und sie sehen ihre Funktion vor allem darin, einen heilenden Raum – real und psychisch verstanden – herzustellen, in dem der Patient ohne allzu viele Regeln, Vorschriften und Einschränkungen einen individuellen Zugang zu diesen Selbstheilungskräften finden kann. Sie fühlen sich in die Klienten ein, akzeptieren sie in ihrer jeweiligen Eigenart, versuchen sie emotional zu verstehen und fördern eine vertrauensvolle Regression in frühkindliche Erlebensbereiche. Sie unterstützen darin, einen Kontakt mit der Weisheit des Körpers, dem „Tier in uns“ und dem „Inneren Kind“ aufbauen.

Im modernen psychoanalytischen Sprachgebrauch hat sich der Begriff containment (> Container/Contained) für eine solche mütterliche Haltung entwickelt. Eine, am Bios-Prinzip orientierte, Haltung wird besonders in einfühlungsorientierten und regressionsfördernden Selbsterfahrung- und Therapieformen, die meist auf eine längere Zeit hin angelegt sind, eingenommen (z. B. neuere analytische, tiefenpsychologische Richtungen, Gesprächspsychotherapie, körperorientierte Verfahren). Sie findet sich besonders auch in Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapien. In Kliniken und Gruppentherapien (> Gruppenpsychotherapie), in denen Zeit, Raum und Vertrauen gegeben ist, sich den anderen Teilnehmern gegenüber zu öffnen und aufrichtiges Mitgefühl zu erfahren, werden der Kreis der Gemeinschaft und das sich darin entfaltende Wir-Gefühl häufig als eine Geborgenheit, Sicherheit und seelische Nahrung spendende Gute Mutter erfahren.

Der Einbezug des Körpers in die Psychotherapie ist lange Zeit auf große Widerstände gestoßen, insbesondere bei Therapieformen, die am > Logos-Prinzip orientiert sind, wie z. B. der klassischen > Psychoanalyse. Die meisten Therapierichtungen haben aber heute Ansätze für einen besseren und selbstverständlicheren Umgang mit dem > Körper entwickelt. Während das Unbewusste > Unbewusstes früher hauptsächlich als seelisch aufgefasst wurde, lernt man immer mehr, auch den Körper als umfassenden Ausdruck des Unbewussten anzusehen. Man wird die alten, einseitigen Vorstellungen davon, dass die Psyche körperliche Symptome hervorrufen könne, ergänzen müssen durch die Einsicht, dass auch körperliche Vorgänge psychische Symptome hervorrufen können und bei vielen, bislang als überwiegend psychisch verursacht, angesehenen Symptomen möglicherweise sogar den Vorrang haben.

Ein Schattenaspekt des Archetyps der Großen Mutter ist ihre festhaltende, verschlingende, „kastrierende“ Seite, welche Ablösung, Autonomie und Individuation verhindert. Ein allzu mütterlicher, verwöhnender Stil in der therapeutischen Arbeit mit Menschen unterliegt der Gefahr, sie „klein“ zu halten. Dies besonders dann, wenn der Helfer in der Mutter-Kind-Position eigene unerfüllte Bedürfnisse befriedigt und die Abhängigkeit des Klienten genießt. Durch die relative Hilflosigkeit des Klienten können Therapeuten sehr leicht ihr Bedürfnis nach Macht, Dominanz, Überlegenheit mehr oder weniger offen realisieren. Sie kontrollieren und bestimmen die Begegnung weitgehend, sie können den Klienten durch Manipulationen, Interpretationen, Ratschläge und Anweisungen dazu bringen, dass er das tut, was ihren heimlichen eigenen Bedürfnissen entspricht. Das Ausgeliefertsein und die Schwäche des Klienten können das Selbstwertgefühl der Therapeuten so stärken, dass sie sich tatsächlich für eine allmächtige große Mutter oder Vater halten.

Literatur: Müller, L. (1991): Macht und Ohnmacht des Helfers; Müller, L. (1995): Überlegungen zu einer analytisch-integrativen Psychotherapie; Müller, L. (2001): Lebe Dein Bestes.

Autor: L. Müller