Psychoanalyse
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Definition: Der Begriff der Psychoanalyse (griech. Psyche: Seele, griech. analysis: Auflösung, Zerlegung in Bestandteile) ist von S. Freud 1896 in der Schrift über „die Ätiologie der Neurosen“ geprägt worden und bezeichnet vier unterscheidbare Gebiete:
1. ein theoretisches Gebäude über die Struktur und Dynamik der menschlichen Psyche, insbesondere der Beziehung zwischen bewussten (> Bewusstsein > > Bewusstseinsentwicklung: Allgemeine Stadien) und unbewussten Vorgängen (> Unbewusstes);
2. eine entwicklungspsychologische Theorie (> Entwicklungspsychologie), die einen Zusammenhang zwischen Entwicklungsstadien und spezifischen seelischen Themen- und vor allem sexuell motivierten Konfliktkonstellationen herstellt (> Triebentwicklung, Phasen der) und damit einen Zugang zur > Ätiologie von > Neurosen eröffnet;
3. die analytische Untersuchung (> Analyse) unbewusster Vorgänge und > Konflikte, die als Ursache von psychischen Störungen identifiziert und dem Bewusstsein zugänglich gemacht werden;
4. eine therapeutische Methode zur Lösung seelischer Konflikte und Störungen durch Wiederbeleben und Erkennen der affektiven Ursachen, die sowohl praktisch-therapeutische Handlungsanweisungen gibt, als auch eine Interventions- oder Deutungstheorie (> Intervention > Deutung) liefert.
Information: Die Methode der freien Assoziation (> Assoziation, freie) löst um 1895 die bis dahin praktizierte Hypnose ab und wird oft als Geburt der eigentlichen Psychoanalyse gesehen. Andere Autoren bestimmen den Anfang psychoanalytischen Denkens mit der Verwerfung der Verführungstheorie durch Freud. Durch diesen Schritt räumt er der unbewussten Fantasietätigkeit (> Fantasie) ungleich größere Bedeutung ein, als dem realen > Trauma und eröffnet damit den Raum des symbolischen Denkens (> Symbol). Die Entdeckungen Freuds markieren den Beginn der modernen Psychotherapie, haben zugleich weitreichenden Einfluss auf Kultur, > Literatur > Kunst und > Gesellschaft. Vermutlich gibt es kaum ein theoretisches System, das so stark nach außen in andere Felder hinein gewirkt hat, und verständlich wird das vor dem Hintergrund der damaligen bewusstseinsbetonten Wissenschaftstendenz (> Bewusstseins-Evolution > Erkenntnistheorie > Materialismus > Positivismus > Wissenschaftstheorie). Die Betonung unbewusster Faktoren der Psyche und der Dynamik zwischen bewussten und unbewussten Kräften wirkte damals revolutionär.
Die Psychoanalyse ist eine Konfliktpsychologie. Freud beschreibt die Konflikte des Menschen als eine Auseinandersetzung zwischen Triebwünschen (> Instinkt, > Primär-/Sekundärprozess), Über-Ich-Einschränkungen und Anforderungen der Realität (> Realitätsprüfung). Er entwickelt dazu ein Modell psychischen Funktionierens mit den Instanzen > Ich > Es und > Über-Ich. Die psychoanalytische Krankheitstheorie versucht, mithilfe dieser psychoanalytischen Theorien, psychische Erkrankungen psychodynamisch zu erfassen. Ihre Annahmen basieren auf der Vorstellung unbewusster Konflikte, die unter bestimmten Bedingungen zu einer psychischen Erkrankung führen und zu deren Aufrechterhaltung beitragen können. Die psychoanalytische Behandlungsmethode dient dazu, diese Konflikte bewusst zu machen. Dies geschieht im Rahmen der therapeutischen Beziehung (> Beziehung, therapeutische), die sich in der psychoanalytischen Behandlung zwischen Patient und Analytiker entwickelt.
Alle tiefenpsychologischen Schulen basieren letztlich auf den bahnbrechenden Arbeiten Freuds und einiger anderer Pioniere. Früh schon entwickeln sich A. Adler (> Individualpsychologie) und C. G. Jung (> Analytische Psychologie > Freud-Jung-Beziehung) in unterschiedliche Richtung und trennen sich schließlich von Freud. Jungs Kritik an der Psychoanalyse kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ihr und seiner Theorienbildung sehr viel verdankt. Er entwickelt Vorstellungen, die Freuds Annahmen teils widersprechen, sie zum Teil erweitern: Den Libidobegriff (> Libido) verallgemeinert er zur Bezeichnung für psychische > Energie überhaupt. Er legt keine besondere Betonung auf den > Ödipuskomplex, sondern einerseits eher auf die Dynamik der gesamten Eltern-Mutter-Vater-Kind-Beziehung, andererseits auf den > Aktualkonflikt und den möglichen finalen Sinn (> Finalität, > Sinn) einer psychischen Störung oder Symptoms. Er erweitert die Dimension des > [[Unbewusste]n zur kollektiven Dimension (> Kollektivpsyche > Unbewusstes, kollektives) und postuliert damit überindividuelle, archetypische Wirkfaktoren, denen seelisches Geschehen unterworfen ist. Jung erweitert auch das Symbolverständnis (> Symbol) und definiert die Beziehung zwischen bewussten und unbewussten Prozessen als kompensatorisch (> Kompensation. Damit relativiert er die Bedeutung der individuellen Biografie. Er ergänzt Freuds kausalen Denkansatz durch ein finales Prinzip (> Finalität > Principium individuationis) der Seele und versucht vor allem, den Menschen in seiner > Ganzheit (> Selbst), seinem Entwicklungs- und Entfaltungspotenzial und seinem Bedürfnis nach > Individuation zu erfassen. Auch die heutige > Analytische Psychologie setzt sich intensiv mit den zentralen Konzepten und Weiterentwicklungen der Psychoanalyse auseinander, nutzt die Forschungsarbeit der Psychoanalyse, bzw. kooperiert an gemeinsamen Projekten.
Nach Freud hat sich die psychoanalytische Theorie in vielen Richtungen weiterentwickelt. So geht es in der psychoanalytischen > Ichpsychologie um die Frage, welche Möglichkeiten dem Ich zur Verfügung stehen, die andrängenden Triebwünsche in kulturell akzeptierte Bahnen zu lenken. Die psychoanalytische > Selbstpsychologie erforscht die Bedingungen und Störungen der Entwicklung des Selbst. Die psychoanalytische > Objektbeziehungstheorie befasst sich mit den frühen Beziehungserfahrungen des Menschen, insbesondere der frühen Mutter-Kind-Beziehung, in der grundlegende Beziehungsmuster erworben werden, die als unbewusste Beziehungserwartungen auch das spätere Leben beeinflussen. In die Theorieentwicklung werden mittlerweile auch Erkenntnisse der modernen Säuglingsforschung [ > Säuglingsforschung: Entwicklung der, > Säuglingsforschung: Ergebnisse der) und der Neurowossenschaften ( > Gehirn) einbezogen.
Literatur: Fetscher, R. (1979): Grundlinien der Tiefenpsychologie von S. Freud und C. G. Jung; Frey-Rohn, L. (1969): Von Freud zu Jung; Mertens, W. (Hrsg.]]) (1993): Schlüsselbegriffe der Psychoanalyse.
Autor: D. Knoll