Objektbeziehungstheorie
Keyword: Objektbeziehungstheorie
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Definition: Die Objektbeziehungstheorie (> Objekt) - wie schon vorher die psychoanalytische > Ich-Psychologie seit H. Hartmann - und die Narzissmustheorien (> Narzissmus) wenden sich ab von der Vorstellung, dass im Zentrum der Entwicklung der > Persönlichkeit (> Entwicklungspsychologie > Individuation) die libidinöse oder aggressive Besetzung von Objekten steht. (> Aggression > Libido > Neurose > Sexualität > Thanatos/Tod > Triebentwicklung, Phasen der) Sie verwendet den Terminus Objektbeziehung, um zu kennzeichnen, dass es um ein komplexes Erfahrungsfeld geht (> Komplexität), in dem die Ich-Entwicklung (> Ich/Ich-Bewusstsein > Bewusstsein > Bewusstseinsentwicklung: Kindliche Stadien) geschieht. Als Objekt werden in der Objektbeziehungstheorie die Bezugspersonen verstanden, die auf das sich entwickelnde Kind reagieren, mit ihm im emotionalen Dialog und in Beziehung stehen und sehr unterschiedlich strukturierte Situationen erleben und gestalten (> Urbeziehung). An diesen Personen und der Kommunikation und Interaktion mit ihnen richtet sich das Kind aus. Es imitiert das Verhalten der ihm nahe stehenden Menschen (> Lernen), identifiziert sich mit ihren Emotionen, Erwartungen und Vorstellungen (> Identifikation), da es von der Unterstützung, Beachtung, Empathie und > Liebe dieser Bezugspersonen existenziell abhängig ist. Sie fungieren deswegen als ideale Objekte und können auch zu idealisierten Objekten werden (> Idealisierung). Dabei spielen aber nicht nur die Objekte an sich, sondern die Vorstellungen und Fantasien (> Fantasie) des Kindes vom Objekt, die es in der Beziehung gewinnt, eine zentrale Rolle (> Repräsentanz > Selbstrepräsentanz).
Information: Das Kind orientiert sich an dem, was es subjektiv am Objekt erlebt, wahrnimmt, sich vorstellt. Es verinnerlicht (> Internalisierung) diese subjektive Wahrnehmung des Objektes innerhalb der Beziehung, also die Objektbeziehungserfahrung oder kurz die Objektbeziehung, nicht das Objekt an sich als Repräsentanz des Objektes. Da das Kind sich selbst zu einem erheblichen Teil über das erlebt, was es in den Objektbeziehungen über sich erfährt - was ihm dort gespiegelt wird (> Spiegeln) - entwickelt es auch eine Vorstellung von sich selber nicht nur aus dem, was es in sich selber von sich erlebt und wahrnimmt. Die Interaktionen mit den Bezugspersonen und seiner Umwelt generell machen ihm wesentliche Mitteilungen über sich selbst. Deshalb entsteht ein Bild von sich selber auch aus diesen Objektbeziehungserfahrungen heraus. Die Objektbeziehungen prägen damit auch die Selbstvorstellungen bzw. Selbstrepräsentanzen (> Selbstrepräsentanz) des Kindes und möglicherweise tragen sie zur Selbst-Idealisierung bei.
E. Neumann und L.M. Fordham haben sich mit der Bedeutung der Objekte bzw. der Objektbeziehungen für die Ich-Entwicklung des Kindes sehr intensiv auseinandergesetzt, sind auch zu teilweise unterschiedlichen Ergebnissen gekommen, vor allem, weil sie teilweise den Selbstbegriff anders akzentuieren und weil Neumann sich sehr stark auf die archetypischen Bilder und Strukturen konzentriert, die hinter der Entwicklung des Kindes stehen. Bei M. Jacoby (Jacoby, 1985) findet sich eine fundierte Auseinandersetzung mit der Ich-Entwicklung unter Einbezug psychoanalytischer Objektbeziehungs- und Narzissmustheorien und auch der analytischen Entwicklungspsychologien von Fordham und Neumann.
Literatur: Jacobson, E. (1973): Das Selbst und die Welt der Objekte; Jacoby, M. (1985): Individuation und Narzissmus.
Autor: A. Müller