Lernen

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Keyword: Lernen

Links: > Durcharbeiten > Einstellung > Erinnern > Kognitive Psychologie > Komplex > Komplexität > Intervention > Verhaltenstherapie > Verstehen

Definition: Lernen (germ. laisti: Fußspur, einer Spur nachgehen, nachspüren, wissend werden) ist eine grundlegende Fähigkeit und Motivation lebender Organismen. Allgemein bezeichnet man als Lernen den Erwerb von Wissen, von motorischen und sprachlichen Fertigkeiten sowie von psychischen Erlebens-. und Verhaltensweisen. Lernen ist ein Prozess, der Organismen, jedoch auch elektronisch-technische Anlagen (z. B. Automaten und Computer) befähigt, aufgrund früherer Erfahrungen und organischer Eingliederung weiterer Erfahrungen, situationsangemessen zu reagieren. Generell lässt sich unterscheiden zwischen einsichtigem Lernen, das > Bewusstsein voraussetzt, Lernen durch Dressur und Lernen durch Versuch und Irrtum. Weiter werden unterschieden Formen des empathischen Lernens, des kognitiven Lernens, des sozialen Lernens (z. B. Lernen durch Imitation, Lernen am Modell) und operanten Lernens.

Information: Lernvorgänge lassen sich in vier Phasen einteilen: 1. die Vorbereitungsphase, in der Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Reizunterscheidung erfolgen; 2. die Aneignungsphase mit der > Assoziation als Verknüpfungsprozess und nachfolgenden inneren Verarbeitungsprozessen; 3. die Speicherungsphase mit der Codierung (Verschlüsselung) der Erfahrung und deren Speicherung im Gedächtnis und 4. die Erinnerungsphase, in der das gespeicherte Material abgerufen, decodiert (entschlüsselt) und in eine Reaktion umgesetzt wird. Diese vier Phasen haben eine gewisse Entsprechung auch zu den vier Phasen des kreativen Prozesses (> Kreativität, Phasen der). Lernen ist der am intensivsten erforschte Gegenstand der akademischen Lernpsychologie, die sich mit den physischen, psychischen und kybernetischen Bedingungen des Lernens befasst, entsprechende Theorien entwickelt und Lerngesetze formuliert hat. Insbesondere die > Verhaltenstherapie ist bestrebt, die bisher erkannten Lernprinzipien systematisch einzusetzen, wobei sie allerdings überwiegend auf bewusst organisierte Techniken zurückgreift. Die Richtung des Lernens läuft vom Bewussten zum Unbewussten, d. h. es werden bewusste Lernziele angestrebt, die bewusst eingeübt werden und später automatisiert wirksam werden sollen.

Natürlich aber spielen in allen Psychotherapieformen Lernprozesse eine zentrale Rolle, auch wenn sie dort oft nicht so benannt werden. Es lassen sich aber ohne Schwierigkeiten sowohl die analytischen psychodynamischen Theorien, als auch die Prozesse einer > Analyse in einer lernpsychologischen Terminologie formulieren. Beispielsweise lässt sich die Bildung von Komplexen sehr gut lerntheoretisch erklären: Durch fördernde oder belastende Reaktionen der Umwelt auf sein Verhalten lernt der Mensch, bestimmte Eigenschaften, Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Situationen als angenehm oder unangenehm, als richtig oder falsch zu bewerten. Dementsprechend werden einige Aspekte der > Persönlichkeit und der Welterfahrung positiv, andere negativ "aufgeladen"-, und wiederum andere bleiben relativ neutral. Sie formieren sich zu positiven oder negativen Komplexen, die nach und nach durch weitere Erlebnisse angereichert, verstärkt oder abgeschwächt werden. Da jene Einstellungen, Verhaltensweisen und Erlebnisse, die zu einer Komplexbildung geführt haben, in der Folgezeit vermieden oder verstärkt werden, kann sich daraus eine sehr einseitige und der Wirklichkeit des Lebens unangepasste Persönlichkeitsstruktur entwickeln. Viele Bereiche und Lebensmöglichkeiten bleiben unerschlossen, auf anderen, möglicherweise negativen Lebensformen wird beharrt. Deshalb ist die Bewusstmachung und Auflösung lebenseinengender Komplexe eines der Hauptziele jeder Therapieform. Auch jedes Bewusstmachen und Integrieren (> Integration) von Unbewusstem ist ein Lernprozess, ebenso wie jede therapeutische > Intervention und Interaktion (> Beziehung, therapeutische > Prozess, dialektischer) ein gemeinsames Lernen ist. Ebenfalls spielen in analytischen Therapieformen Rückmeldungen, Einstellungskorrekturen, Desensibilsierungs- und Verstärkungsvorgänge usw. eine große Rolle. Der Unterschied zu den lerntheoretisch orientierten Therapieformen liegt bei den analytischen Verfahren vor allem darin, dass die > Ganzheit des menschlichen Organismus in seiner Verflechtung mit der Um- und Mitwelt als sehr komplex (> Komplexität) aufgefasst wird und die Aufmerksamkeit mehr auf die unbewussten Vorgänge gerichtet ist. Die damit verbundenen Lernprozesse folgen von daher nicht einer geplanten und stringenten Zielvorgabe, sondern der meist unvorhersehbaren Dynamik der als spontan und schöpferisch verstandenen > Selbstregulation. Während die lernpsychologisch orientierten Therapieformen frühzeitig nach möglichen Therapiezielen suchen, entfalten sich der eigentliche Fokus und das Ziel der Analyse erst allmählich während des Prozesses. Deswegen gehen analytische und verhaltenstherapeutische Therapieformen auch von unterschiedlichen Zeitvorgaben aus, wobei sich heute auch vielfältige Annäherungen ergeben: Die analytischen Therapieformen bemühen sich zunehmend um eine Fokussierung auf zentrale Konfliktthemen, während die lernorientierten Therapieformen ihre Zielvorgaben immer dynamischer und prozesshafter betrachten.

Literatur: Spitzer, M. (2000): Geist im Netz - Modelle für Lernen, Denken und Handeln.

Autor: L. Müller