Verhaltenstherapie

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Keyword: Verhaltenstherapie

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Definition: Die Verhaltenstherapie beruht auf den Konzepten der psychologischen Lern- und Verhaltenstheorien (> Lernen). Sie ist problem- und zielorientiert, d. h., sie ist bestrebt, an einer unmittelbar vorliegenden Symptomatik konkrete Veränderungen zu erreichen und strebt bei Therapiebeginn mit dem Patienten diesbezüglich erarbeitete Ziele konsequent an. Darüber hinaus ist sie handlungsorientiert, indem sie die Betroffenen zum aktiven Erproben neuer Verhaltens- bzw. Erlebensweisen und Problemlösungsstrategien ermutigt. Sie vermeidet das Konzept des > Unbewussten weitgehend, beachtet die > Übertragung (> Beziehung, therapeutische) weniger und erklärt die Entstehung psychischer Störungen durch falsches Lernen und Verstärkungsmechanismen.

Information: Zu den verhaltenstherapeutischen Verfahren gehören Basisfertigkeiten wie Gesprächsführung, Beziehungsgestaltung und Motivationsarbeit (> Motivation). Flexibel handhabbare störungsübergreifende Maßnahmen sind Konfrontationsverfahren, z. B. Reizüberflutung (> Konfrontation); Entspannungsverfahren, z. B. progressive Muskelentspannung; operante Methoden, z. B. positive Verstärkung; kognitive Methoden, z. B. Selbstinstruktionstraining; Kommunikationstraining; Training sozialer Kompetenz sowie Selbstkontrollverfahren.

Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhundert hat sich in der Verhaltenstherapie eine kognitive und affektive Wende vollzogen, indem nicht mehr von einer reinen Reiz-Reaktions-Psychologie ausgegangen wird. Motivationalen und kognitiven Prozessen, die vorher als nicht objektiv darstellbar ausgeklammert worden sind, wird eine zunehmende Bedeutung für das menschliche Verhalten beigemessen.  

Die > Analytische Psychologie und andere tiefenpsychologische Richtungen (> Tiefenpsychologie) kritisieren am verhaltenstherapeutischen Ansatz, dass durch eine Überbetonung von Methodik und Technik die umfassende Bedeutung der therapeutischen Beziehung vernachlässigt wird. Eine weitere Problematik sieht sie darin, dass überaus komplexe Zusammenhänge (> Komplexität) der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Entwicklung auf wenige, plan- und organisierbare Aspekte reduziert werden, die aber den dahinter stehenden unbewussten Bedürfnissen nicht gerecht werden. Das ständige Hinarbeiten auf Selbstverantwortung, auf aktive Entscheidungen, auf Autonomie und Unabhängigkeit kann dahin führen, dass im Patienten so etwas wie ein Bewusstseins- und Willensdominanz entsteht, der es verhindert, innerlich loszulassen, regressivere Gefühle und Bedürfnisse, z. B. nach Nähe, Hingabe, Empfänglichkeit, Ruhe, Geborgenheit (> Regression) wahrzunehmen und eine vertrauensvolle, schöpferische Beziehung zu den unbewusst gesteuerten Regulationsvorgängen (> Selbstregulation) des > Selbst herzustellen.

Das Unbewusste wird von der Verhaltenstherapie inzwischen wohl insgesamt nicht mehr geleugnet, hat aber auch keinen besonderen Stellenwert als autonome, schöpferische Instanz, sondern dient bestenfalls als Ort für automatisiertes, generalisiertes Verhalten, z. B. zur Entwicklung neuer Einstellungen und Gewohnheiten: "Das Bewusstsein lässt sich wie ein Papagei dressieren, nicht aber das Unbewusste. Deshalb hat auch St. Augustin Gott gedankt, dass er ihn nicht verantwortlich gemacht hat für seine Träume. Das Unbewusste ist ein Psychisches, das nur anscheinend und dann sehr zum Nachteil des Bewusstseins einexerziert werden kann. Es ist und bleibt jeder subjektiven Willkür entzogen, ein Bereich nicht zu verbessernder und nicht zu verderbender Natur und ihres Geheimnisses, das wir nur belauschen, aber nicht befingern können." (Jung, GW 12 § 51]])

Literatur: Kanfer, F. H., Reinecker, H., Schmelzer, D. (1991): Selbstmanagement-Therapie; Margraf, J. (Hrsg.) (2000): Lehrbuch der Verhaltenstherapie; Linden, M., Hautzinger, M. (Hrsg.) (2000): Verhaltenstherapiemanual.

Autor: L. Müller