Gewalt bei Jugendlichen

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Keyword: Gewalt bei Jugendlichen

Links: > Adoleszenz > Aggression > Böses > Gesellschaft > Gewissen > Inflation > Jugendlichen-Psychotherapie, analytische > Kollektivpsyche > Kompensation > Moral > Schatten

Definition: Gewalt ist eine spezifische Form der > Aggression. Sie zeichnet sich durch zwei Merkmale aus: 1. durch die Schädigung eines anderen Menschen und 2. durch das ausgeprägte Machtgefälle zwischen der Gewalt ausübenden Person und dem schwächeren Opfer.

Information: Im Leben von Jugendlichen ist die Gewalt inzwischen – wie in der Gesellschaft überhaupt – zu etwas Alltäglichem geworden. Dass die Gewaltbereitschaft Jugendlicher zunehme, wird allgemein festgestellt, aber Jugendliche sind nicht nur in der Rolle des Täters, sondern oft auch Opfer. Dabei reicht die Gewalt, die Jugendliche erleben, von der personalen Gewalt in Familien bis zur strukturellen Gewalt z. B. in Schule, Arbeitsleben und Gesellschaft (vgl. Petri, 1989). Eine erste Quelle der Gewalttätigkeit Jugendlicher liegt in traumatisch erlebten frühkindlichen Beziehungserfahrungen mit körperlicher und seelischer Verletzung und dem Erleben, in der eigenen Individualität nicht ernst genommen zu werden. Die dann nach außen demonstrierte Macht und Stärke stelle einen verzweifelten Versuch dar, sich selbst und andere über die tiefen Wunden hinwegzutäuschen und sich im Gewaltakt wenigstens einen Augenblick lang allmächtig zu fühlen (vgl. Rauchfleisch, 1992). Für Gruppen hoher Gewaltbereitschaft wie etwa Skinheads gilt ähnliches: Die Lebensgeschichte der Skinheads ist oft geprägt von Traumata, angefangen vom Versagen der Mutter in ihrer Fürsorgefunktion über das Versagen der inner- und außerfamiliären Sozialisation, dem Aufwachsen in desolaten familiären Umständen, den negativen Erfahrungen aufgrund von Verhaltensstörungen oder Lernschwächen in der Schule und oft auch der Erfolglosigkeit im Arbeitsleben. Bei fast allen Jugendlichen in diesen Gruppen können gestörte oder zerbrochene Vaterbeziehungen – der Vater ist schwach und abwesend – und auch Ausstoßungstendenzen der Familie dem Jugendlichen gegenüber festgestellt werden. “In den Gewaltaktionen suchen die Jugendlichen letztlich danach, endlich gesehen, anerkannt, akzeptiert zu werden. Tatsächlich aber schaffen sie – dem Wiederholungszwang folgend – Verhältnisse, in denen sie erst recht als Störenfriede ausgegrenzt werden.“ (Streeck-Fischer, 1992). Eine zweite Ursache der Gewalttätigkeit Jugendlicher ist die Tendenz, auf dem Hintergrund der Traumatisierung bei emotionaler Verunsicherung oder unüberschaubaren Situationen auf einfachste Denk- und Ordnungsschemata zurückzugreifen, d. h. die Welt in schwarz und weiß, Gut und Böse aufzuspalten (> Spaltung) und überschaubarer zu machen. Da man sich aber in der Regel selbst auf der Seite der Guten sieht und alles Böse auf andere, auf Feinde, projiziert, wird der Gewalt Vorschub geleistet. Dies ist bei Jugendlichen-Gruppen deutlich zu beobachten: Die Gleichaltrigen-Gruppe erleichtert Jugendlichen die Ablösung von den Eltern und gibt Orientierung und Identifikationsmöglichkeiten. Damit aber orientieren und identifizieren sich Jugendliche auch mit Einstellungen und Verhaltensweisen der Gruppe. Je nach Gruppenideologie – z. B. die von der Ungleichheit der Menschen oder dem Recht des Stärkeren – wird in der eigenen guten Gruppe das Böse (> Böses > Schatten) auf andere Menschen, z. B. auf Fremde, projiziert (> Projektion), die damit zu Feinden werden und denen gegenüber Gewalt gerechtfertigt ist. Ein dritter Aspekt zum Ursprung der Gewalt steht damit in Zusammenhang: Auch wenn jeder Mensch über eine Über-Ich-Instanz verfügt, die Gewaltentwicklungen verhindern könnte, zeigt sich vielfach, wie sehr diese Instanz veränderbar ist. Dies gilt insbesondere für den Jugendlichen in der Auseinandersetzung mit den Werten und Normen der Eltern – die diese freilich auch oft nur vordergründig leben. Durch die Unterordnung des Jugendlichen in der Gruppe und bei entsprechender Gruppenideologie erscheint dann Gewalttätigkeit gegenüber anderen und Fremden als selbstverständlich und gerechtfertigt. Eine Einfühlung in das Leiden des Opfers der Gewalt wird nicht zugelassen. Der vierte Aspekt zur Entstehung der Gewalttätigkeit Jugendlicher betrifft die narzisstische Inflation oder die narzisstische Reparation. Die narzisstische Inflation bedeutet, dass die Gewalt geradezu als edle Pflicht erscheint, auf die der Täter stolz ist. Als narzisstische Reparation arbeitet die Gewalt gegen den inneren Notstand, der aus den frühen Traumatisierungen und Verletzungen (siehe Punkt 1) resultiert. Die Gewalttätigkeit führt vorübergehend zu einer Aufwertung, einer narzisstischen Reparation.

Neben diesen Zusammenhängen der Entstehung von Gewalt bei Jugendlichen werden von sozialpsychologischer Seite weitere Aspekte genannt, z. B. die Modelle gewalttätigen Umgangs im Alltag – das Leben als Kampf -, die Verharmlosung der Gewalt wie sie in den Medien präsentiert wird, die Gewöhnung an die Gewalt durch ständige Berichte in den Medien, der Sündenbockmechanismus in unserer Gesellschaft, der immer andere zu Verursachern unserer eigenen Schwierigkeiten macht und zu Opfern unserer Gewalt

keine

Literatur: Bohleber, W. (Hrsg.) (1992): Adoleszenz und Identität; Guggenbühl, A. (1993): Die unheimliche Faszination der Gewalt; Guggenbühl, A. (1995): Aggression und Gewalt in der Schule.

Autor: K. Aichele