Unbewusstes, psychoides

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Keyword: Unbewusstes, psychoides

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Definition: Die Vorstellung, dass das > Unbewusste einen psychoiden (seelenähnlichen) Hintergrund habe, bei dem sich die psychischen und physiologischen Aspekte des Organismus als zwei Seiten einer Medaille herausstellen, wurde von C. G. Jung erst relativ spät - 1946 - formuliert (vgl. GW 8, § 368 f). Jung lehnt sich mit diesem Begriff an E. Bleuler an, weil er damit ungefähr die gleiche Gruppe von Phänomenen zu erfassen sucht, die auch Bleuler im Auge gehabt hat. Es handelt sich bei Bleuler um Vorgänge, die hirnorganisch hauptsächlich subkortikalen Regionen zugeordnet werden. In Zusammenhang mit reflexhaften Abläufen, biologischen Anpassungs- und Lebensvorgängen sind in der damaligen Psychiatrie, Neurologie und Psychologie Begriffe wie Körperpsyche, Hirnstammseele, Tiefenpsyche, visceral brain, Mikropsychisches in Gebrauch. Mit dem Wort (die) Psychoide beabsichtigt Bleuler, das Gemeinsame aller Vorgänge zu kennzeichnen, die er unter diesem Begriff subsumiert. Dies ist die Stelle, an der sich die Intentionen Jungs mit denen von Bleuler berühren. Dagegen ergibt sich aus der rein psychologischen Perspektive Jungs eine Unterscheidung. Im Gegensatz zu Bleuler verzichtet er auf eine hirnorganische Lokalisierung der psychischen Phänomene und damit auf eine der Anatomie entlehnte Terminologie. Er gebraucht deshalb den Terminus "psychoid" nur in adjektivischer Form, hat zwar die gleichen Phänomene im Blickwinkel, betrachtet sie aber, im Unterschied zu Bleuler, aus der Perspektive der Analytischen Psychologie, indem er das Unbewusste, das kollektive Unbewusste (> Unbewusstes, kollektives), die Archetypenlehre (> Archetyp) und später die > Synchronizität einbezieht.

Information: Jung kommt zu dem Ergebnis, dass das eigentliche Wesen des Archetyps "bewusstseinsunfähig, das heißt transzendent ist, weshalb ich es als psychoid bezeichne" (vgl. Jung, GW 8, § 417). Aus dieser Sicht grenzt Jung die psychoiden Vorgänge mit der ihnen eigenen seelenähnlichen Qualität von den "bloßen Lebensvorgängen" und den "eigentlichen seelischen" Vorgängen ab. Ersteren, z. B. den vegetativen, reflektorischen oder sog. animalischen Funktionen fehlt jedes Äquivalent, das mit psychischem Geschehen vergleichbar wäre. Die psychoiden Vorgänge haben jedoch solche Äquivalente. Sie haben mit dem Psychischen gemeinsam "die Zielstrebigkeit und die Benutzung früherer Erfahrungen zum Erreichen des Ziels", Gedächtnis, Assoziation, "also etwas dem Denken Analoges" (Bleuler, zit. n. Jung, GW 8, § 368). Doch ist im Unterschied zum psychischen Geschehen im psychoiden Bereich die jeweilige Funktion eng an fest stehende Abläufe reflektorisch-instinkthafter Art (> Instinkt) gebunden, während das Psychische sich davon dadurch unterscheidet, dass die Funktionen durch den] Willen beeinflusst werden, und die unfreie Gebundenheit zurückgedrängt wird zugunsten gewählter Modifikationen, z. B. Sublimierung (vgl. Jung, GW 8, § 386). Durch das "wählende Subjekt" erscheint das Psychische "als eine Emanzipation der Funktion aus der Instinktform und deren Zwangsläufigkeit" (vgl. Jung, GW 8, § 377). Auch im Unbewussten, zu dem psychoide Vorgänge gehören, gibt es modifizierende Tendenzen und Vorstellungen. Charakteristisch für den psychoiden Teil des Unbewussten ist, dass er als Nicht-Psychisches nicht bewusstseinsfähig ist, "obschon er sich psychisch manifestieren kann", er ist psychifikationsfähig (> Psychifikation), wirkt vielfach hochgradig psychifizierend. Bei den Archetypen kann das beobachtet werden: Sie sind ein psychoider Faktor, ihr eigentliches Wesen ist unanschaulich, transpsychisch, bewusstseinsunfähig: psychoid (vgl. Jung, GW 8, § 417]]). Erkennbar wird der "Archetyp per se" erst durch seine Wirkungen, wenn er sich psychisch als archetypische Verhaltensweisen, Vorstellungen und Bilder manifestiert.

Zur Annahme psychoider Vorgänge gelangt Jung über sein Archetypenmodell, als er an der rein psychischen Natur der Archetypen zu zweifeln beginnt. Psychologische Überlegungen und die Erkenntnisse der Physik veranlassen ihn dazu, von einem nichtpsychischen Aspekt der Archetypen auszugehen. Die Ausarbeitung der > Synchronizität ist Anlass, die noch allgemeinere Hypothese zu formulieren, die eine Psyche fordert, "welche irgendwie die Materie berührt, und umgekehrt, eine Materie mit latenter Psyche" (Jung, GW 8, § 441). Sofern hier die menschliche Psyche gemeint ist, findet dieser Satz wohl weite Zustimmung. Als panpsychistisches Postulat dürfte er strittig sein.

Interessant ist, dass sich in den Ergebnissen der empirischen]] > Säuglingsforschung Belege finden, die Jungs Vorstellungen vom "psychoiden System" stützen. Die dort erwähnten biopsychischen Präkonzepte, bzw. Bereitschaftssysteme, oder die angeborenen protopsychischen Reiz-Reaktions-Muster, mit denen der Säugling zunächst seine Begegnung mit der Mit- und Umwelt aktiv gestaltet, decken sich mit den psychoiden Vorgängen des instinktiven und archetypischen Bereichs und auch mit E. Neumanns "Biopsyche", die nicht nur beim Säugling eine Rolle spielt.

Literatur: Keine

Autor: H. Schulz-Klein