Geschwisterbeziehung: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Geschwisterbeziehung

Links: > Beziehung > Eifersucht > Eltern > Familie > Geschwisterkomplex > Neid > Ödipuskomplex > Rivalität

Definition: Mit dem Begriff der Geschwister werden in den meisten Kulturen und Sprachgemeinschaften Menschen bezeichnet, die über eine zumindest teilweise identische genetische Ausstattung verfügen, weil sie dieselben Eltern bzw. dieselbe Mutter oder denselben Vater haben. Entsprechend der Veränderungen der familiären Systeme spielen heute auch zunehmend soziale Geschwisterbeziehungen eine Rolle.

Information: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich Psychoanalytiker und Soziologen meist nur am Rande und ohne systematischen und theoretischen Anspruch vor allem mit den Aspekten der frühkindlichen Rivalität bei Geschwistern um die Liebe eines Elternteil, den damit verbundenen Abwehrformen (> Abwehrmechanismen) und Übertragung/Gegenübertragungen (> Übertragung/Gegenübertragung) der Geschwisterproblematik in der Therapie befasst. S. Freud geht vom Vorherrschen feindseliger Gefühlen zwischen Geschwistern aus. Eine Möglichkeit der Überwindung des Gefühls des Entthront-werdens und der damit einhergehenden Gefühle wie > Eifersucht > Neid und > Rivalität sieht er in der > Identifikation mit den Geschwistern (sich verstehen lernen als gleiches Kind der Eltern). Eifersucht- und Neidgefühle zwischen Geschwistern entstehen aus Sicht Freuds in Zusammenhang mit dem > Geschwisterkomplex und > Ödipuskomplex: Geschwister gleichen Geschlechts sind immer Rivalen um die Liebe der Eltern, Geschwister entgegengesetzten Geschlechtes stellen ein natürliches Ventil für verschobene ödipale Wünsche dar. In A. Adlers > Individualpsychologie nehmen die Geschwisterrivalität („Entthronungstrauma“) und verschiedene Geschwisterkonstellationen einen hohen Stellenwert ein. Vor allem die jüngeren Kinder leiden laut Adler unter Minderwertigkeits- und Unzulänglichkeitsgefühlen, weil sie andauernd mit ihren stärkeren Geschwistern konfrontiert seien. Während aus der klassischen psychoanalytischen Sicht der Geschwisterbeziehung als Objektbeziehung keine eigenständige Bedeutung zugemessen wird, gehen neuere psychoanalytische Vertreter (vgl. Kasten, 1993, Petri, 1989) hingegen von primärer Geschwisterliebe als autonomem Anteil einer Objektbeziehung aus. Für D. Winnicott können Geschwister sich als > Übergangsobjekt dienen, mit dem man sich gegenseitig bei der allmählichen Loslösung von der Mutter unterstützen kann.

Das Gefühl, voneinander verschieden zu sein, bewirkt bei Geschwistern Distanz und die Überzeugung, ein eigenes Schicksal zu haben, obwohl man ein Geschwister in einer Geschwisterreihe ist. Das Erleben von Unterschiedlichkeit ist aber auch der Nährboden für den geschwisterlichen > Neid. Unterschiedliche Formen geschwisterlicher > Identifikation, können dazu dienen, Eifersucht und Neid besser zu bewältigen (vgl. Bank, Kahn, 1989, S. 80 f, Kast, 1996 a, S. 137 f): enge Identifikation (symbiotische Beziehung: Zwillingsbildung, Verschmelzen und Idealisierung; Geschwister identifizieren sich so stark miteinander, dass es kaum noch ein erkennbares individuelles Selbst gibt) ; Teilidentifikationen (gegenseitig abhängige Beziehungen – „Loyale Akzeptanz“) ; dynamische und unabhängige Beziehungen („konstruktive Dialektik“) ; feindselige abhängige Beziehungen („Destruktive Dialektik“) ; Beziehungen geringer Identifikation („polarisierte Ablehnung“ und „De-Identifizierung“, in der die Beziehung geleugnet wird). Je nach Art dieser Identifikationen ist dann auch das Bedürfnis nach Individuation anders gelagert. Identifikationen zwischen Geschwistern haben einen großen Einfluss auf die Art der Partnerschaft, die im späteren Leben gewählt wird, entweder analog einer befriedigenden Geschwisterbeziehung oder bei einer nicht positiv verlaufenden Beziehung zwischen Geschwistern als Gegensatz.

Ergänzende Beiträge zum Verständnis der Geschwisterbeziehung aus der Sicht der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) könnten in der Herausarbeitung archetypischer Konstellationen liegen, die hinter dem > Geschwisterkomplex sichtbar werden. Beispiele hierfür aus dem mythologischen Bereich sind: „Kain und Abel“, „Jakob und Esau“, „Horus und Seth“, „Atreus und Thyestes“, „Iphigenie, Elektra und Orest, „Apoll und Artemis“. Typische Geschwisterbeziehungen finden sich natürlich auch in vielen Märchen: z. B. bei „Hänsel und Gretel“, „Frau Holle“, „Aschenputtel, „Die zwei Brüder“, “Die drei Federn.“

Literatur: Bank, S., Kahn, M. (1989): Geschwister-Bindung; Kast, V. (1996 a): Neid und Eifersucht; Petri, H. (1994): Geschwister-Liebe und Rivalität.

Autor: A. Kuptz-Klimpel