Christentum: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Christentum

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Definition: Diese zahlenmäßig größte Weltreligion, die sich in Gestalt mehrerer Großkirchen, Konfessionen, unzähliger Sekten, Sondergemeinschaften und weiterer, sich christlich nennender Bewegungen, darstellt, basiert auf dem Glauben an die einmalige, unter geschichtlichen Bedingungen, erfolgte Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth, als dem inkarnierten Christus (griech.: der Gesalbte; hebr. Maschiah: Messias). Die, im Kern, archetypisch motivierten Glaubensinhalte variieren naturgemäß von Kirche zu Kirche, von Gemeinschaft zu Gemeinschaft, nicht zuletzt von Mensch zu Mensch. Darin liegt ein wichtiger Gesichtspunkt, für die Bewertung des christlichen Glaubens, in der psychotherapeutischen Arbeit. Es ist – wie in jeder Religion – der Erfahrungscharakter, der hierbei zum Tragen kommt, nicht jedoch das bloße Lippenbekenntnis.

Information: In der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) ist das Christentum in vielfältiger Weise thematisiert worden, sei es, weil die Menschen, ihrer religiösen Sozialisation nach, weiterhin eine innere Beziehung zu den überkommenen Symbolen und spirituell-kultischen Verrichtungen (Gebet, Meditation, Sakramentalismus) haben, oder sei es, dass sie sich zwar noch nominell zum Christsein bekennen, dem Glaubensgrund jedoch schon großenteils längst entfremdet sind. Damit haben sie möglicherweise die Mitte ihres Lebens verloren, was sich in entsprechenden, geistig-seelischen bzw. psychosomatischen Symptomen äußern kann. Insofern das gesamte seelische Geschehen archetypisch fundiert ist und Christus das bestimmende Zentrum für den christlichen Glauben darstellt, ist der jeweiligen individuellen Beziehung zu dem „Sohn Gottes“ eine einzigartige Bedeutung zuzusprechen. “Das „Christussymbol“ ist der Psychologie von größter Wichtigkeit, insofern es, neben der Gestalt des Buddha, vielleicht das am höchsten entwickelte und differenzierte Symbol des Selbst ist. Dies ermessen wir an der Umfänglichkeit und dem Gehalt der über Christus vorhandenen Aussagen, welche der psychologischen Phänomenologie des Selbst in selten hohem Maße entsprechen, obschon sie nicht alle Aspekte dieses Archetypus in sich begreifen [...] Das Selbst ist nicht nur unbestimmt, sondern enthält auch paradoxerweise den Charakter der Bestimmtheit, ja der Einmaligkeit. Dies ist wohl einer der Gründe, warum gerade diejenigen Religionen, welche historische Persönlichkeiten zu Begründern haben, zu Weltreligionen geworden sind, wie das Christentum, der Buddhismus und der Islam.“ (Jung, GW 12, § 22)

Während das Bild des Jesus von Nazareth, aufgrund der eigentümlichen Quellenlage der historischen Forschung (Leben-Jesu-Forschung), seit langem erhebliche Probleme bereitet hat, bieten die neutestamentlichen Evangelien, aber auch außerkanonische Texte der Jesusüberlieferung ein Christusbild, das an den Archetypus eines Heldenwegs (> Archetyp > Heldenmythos > Heros-Prinzip) erinnert, somit überpersönlicher Natur ist und letzten Endes den Menschen als solchen angeht, etwa gemäß dem bedeutsamen Wort von Pontius Pilatus: „Ecce homo – siehe der Mensch“ (Joh. 19, 5). Da dieser Weg, das Christusleben, nach C. G. Jung „die unbewusste Voraussetzung jedes menschlichen Lebens ist, so wird durch sein geoffenbartes Leben auch das geheime, unbewusste Grundleben jedes Einzelnen offenbar, d. h. was im Christusleben geschieht, ereignet sich immer und überall“ (Jung, GW 11, § 146). Dies trifft zumindest für die, in der westlichen Tradition, stehende Bevölkerung zu. Jung, der für sich selbst eine „unkonventionelle Art zu denken“ einräumte, sich gleichwohl für einen Christen hielt, weil sein Denken „ganz in christlichen Auffassungen“ wurzle (Jung, Briefe III, S. 275), gab wiederholt Hinweise auf den hohen Stellenwert des Christlichen und für die Interpretation der traditionellen Texte. So berief er sich nicht etwa auf theologische Bedeutsamkeiten oder konfessionelle Glaubenssätze. Das Ziel der psychischen Entwicklung (> Individuation > Selbst-Verwirklichung) korrespondiert demnach mit dem christlichen Inkarnationsgeschehen, an dem der einzelne als Selbst teilhat. “Es darf nicht übersehen werden, dass im Unterschied zu anderen Religionen gerade das Christentum ein Symbol lehrt, das die individuelle Lebensführung eines Menschen und Menschensohnes zum Inhalt hat und diesen Individuationsvorgang sogar als Inkarnation und Offenbarung Gottes selber auffasst. Damit fällt der Selbstwerdung des Menschen eine Bedeutung zu, deren Tragweite wohl noch kaum richtig eingeschätzt worden ist. (Jung, GW 10, § 529) Auf die Passion Christi bezogen, bilden – psychologisch betrachtet – das menschliche und das göttliche Leiden „zusammen eine Komplementarität mit kompensierendem Effekt: durch das Symbol kann der Mensch die wirkliche Bedeutung seines Leidens erkennen: er ist auf dem Wege zur Verwirklichung seiner Ganzheit.“ Auf die Auslegung der Evangelien-Berichte bezogen, heißt es im selben Zusammenhang: „Das Drama des archetypischen Christuslebens beschreibt in symbolischen Bildern die Ereignisse im bewussten und im bewusstseinstranszendenten Leben des Menschen, der von seinem höheren Schicksal gewandelt wird.“ (Jung, GW 11, § 233)

Literatur: Barz, H. (1973): Selbsterfahrung; Wehr, G. (1975): Jung und das Christentum; Stein, M. (1988): Leiden an Gott Vater; Wehr, G. (2003): Christentum; Zacharias, G. (1954): Psyche und Mysterium.

Autor: G. Wehr