Religion
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Definition: Religion (lat. religio: fromme Scheu, Gewissenhaftigkeit, Gottesfurcht) ist ein bereits in der Spätantike unterschiedlich definierter Begriff: 1. ethymologisch abgeleitet von religare (lat. re: wieder, zurück; lat. ligare: binden) wird Religion definiert als Wiederverbindung des Menschen mit Gott - C. G. Jung kommentiert diese ethymologische Verbindung als von den Kirchenvätern abgeleitet; 2. (nach Cicero) abgeleitet von relegere (lat. relegere: etwas wiederholt und sorgfältig tun oder beachten) ist Religion die sorgfältige Verehrung des Göttlichen (> Gottesbild) - diese Bedeutung interpretiert Jung als die eigentliche. (vgl. Jung, GW 11, § 983) In der Psychoanalyse S. Freuds und in der Analytischen Psychologie wird dem Religiösen - bei konträrer Einschätzung - jeweils eine große Bedeutung beigemessen, weil sie dem Menschen eine wichtige Rolle spielt, sei es im bejahenden, sei es im ablehnenden Sinn.
Information: Jung folgt der ciceronischen Begriffsbestimmung von Religion, orientiert sich gelegentlich auch an dem Religionswissenschaftler R. Otto (1869 - 1937), der seinerseits das > [[Numinose in der Gestalt des Heiligen als ein transpersonales wie auch als ein transrationales Ereignis versteht, das den Menschen im Innersten anrührt. Als solches stellt es eine Bedingung des > [[Subjekts dar, die transzendenter Natur und der willkürlichen Beeinflussbarkeit prinzipiell entzogen ist. Diese mehrheitlich vertretene Position steht im Widerspruch zu jenen, die eine magisch-theurgische Willensausübung (> Magie) für möglich halten, durch die sie auf die Gottheit einwirken zu können meinen. Jung anerkennt die "Existenz einer rechten religiösen Funktion im Unbewussten" und beschäftigt sich lebenslang mit der religiös gearteten Symbolik der unbewussten Prozesse (> Unbewusstes > Symbol). Religion betrachtet er als "eine besondere Einstellung des menschlichen Geistes, welche man in Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Gebrauch des Begriffes 'religio ' formulieren könnte als sorgfältige Berücksichtigung und Beobachtung gewisser dynamischer Faktoren, die aufgefasst werden als 'Mächte': Geister, Dämonen, Götter, Gesetze, Ideen, Ideale oder wie immer der Mensch solche Faktoren genannt hat, die er in seiner Welt als mächtig, gefährlich oder hilfreich genug erfahren hat, um ihnen sorgfältige Berücksichtigung angedeihen zu lassen, oder als groß, schön und sinnvoll genug, um sie andächtig anzubeten und zu lieben." (Jung, GW 11, § 8).
Jung betont im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Religion immer wieder, dass er Religion psychologisch und empirisch, d. h. die beobachteten Phänomene beschreibend (vgl. Jung, GW 11, § 2) vorgeht. Er macht weder Aussagen über metaphysische Gegebenheiten (> Philosophie > Metaphysik) noch gibt er theologische bzw. religionswissenschaftliche Interpretationen, meint ebenso wenig bestimmte Glaubensformen oder Bekenntnisse. Er beschäftigt sich mit dem psychologischen Tatbestand, dass Menschen Erfahrungen machen, denen ein höchster Wert zuerkannt wird. Mit "Gott" werden der Inhalt und die, in die Existenz hineingreifende, Macht dieser Erfahrung genannt. Wo sie negiert oder nur banalisiert wird, kann es in dem Maße zu psychoneurotischen Störungen kommen, in dem ihre Sinn gebende Kraft schwindet.
Um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, wie sie von den dabei tangierten Disziplinen, z. B. von der kirchlichen Theologie immer wieder geäußert worden sind, empfiehlt W. Obrist (vgl. Obrist 1988, S. 15) die Unterscheidung von Religion und Religiosität. Stellt demnach Religion ein institutionalisiertes soziokulturelles Gebilde dar, "das aus dem archaischen Selbst- und Weltverständnis hervorgegangen ist", (> Weltsicht, archaische) so lässt sich Religiosität dagegen als eine Haltung verstehen, die für ganzheitliches Menschsein (> Ganzheit) unabdingbar ist und die deshalb durch die Evolution des > Bewusstseins (> Bewusstseinsentwicklung > Bewusstseinsevolution > Bewusstseinsmutation) zwar modifiziert, nicht jedoch überholt werden kann."
In diesem Sinn als Religiosität aufgefasst, stellt Religion keinen Gegensatz zu einer naturwissenschaftlichen Tatsachenfeststellung (> Erkenntnistheorie > Materialismus > Positivismus > Wissenschaftskritik) dar. Sie ist, im Sinne Jungs jedenfalls, "eine der wesentlichsten Manifestationen des menschlichen Geistes. Eine religiöse Erfahrung ist absolut, man kann darüber nicht diskutieren" (Jung, GW 18, § 692). Mit dem Wissen um diesen Tatbestand und allen, sich daraus ergebenden, Konsequenzen öffnet sich die Analytische Psychologie zur Transpersonalen Psychologie hin.
Literatur: Halbfass, H. (1976]]): Religion; E. Spengler (1993): C. G. Jungs Religionspsychologie; Wehr, G. (1975): Jung und das Christentum; Wehr, G. (2002): Die sieben Weltreligionen; Zacharias, G. (1954): Psyche und Mysterium.
Autor: G. Wehr