Materie/Materialismus: Unterschied zwischen den Versionen
de>Anlumue K (1 Version importiert) |
Lutz (Diskussion | Beiträge) K (1 Version importiert) |
(kein Unterschied)
|
Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Materie/Materialismus
Links: > Energie > Konkretismus > Physik > Weltsicht, archaische
Definition: Materie (lat. materia: Stoff, Aufgabe, Vorwurf; bezeichnet auch Substanz, Urstoff, Ungeformtes, die außerhalb unseres Bewusstseins vorhandene Wirklichkeit im Gegensatz zum Geist) wird von Physikern heute definiert als angeordnete Energie. Diese Definition ist das Ergebnis einer Jahrtausende langen geistigen Suchwanderung nach dem Wesen des Stofflichen. (> Bewusstseins-Evolution) Seit Entstehung der frühen Hochkulturen haben die Menschen gelernt, das Stoffliche zu handhaben. Nicht weit vorangekommen sind sie bis zum Mittelalter mit dem Bemühen, dessen Wesen zu ergründen. Fassbar sind Ergebnisse dieses Bemühens in alchemistischen und hermetischen Schriften. (> Alchemie > Hermetik).
Information: Solange die Sicht des Menschen archaisch (> Weltsicht, archaische) gewesen ist, sind Fantasien (> Fantasie) in das vorhandene Wissensvakuum geflossen, und weil der > Projektionsvorgang noch nicht durchschaut werden kann, werden die in die Materie projizierten Gestaltungen des Unbewussten (> Unbewusstes) konkretistisch verstanden. So scheint die Materie den damaligen Menschen belebt bzw. von Geist(ern) beseelt (> Geister) zu sein. Als mit dem Beginn der Neuzeit die > Bewusstseins-Mutation einsetzt und Naturkunde zu Naturwissenschaft wird, schreitet die Ergründung des Stofflichen mit zunehmender Beschleunigung voran. Hand in Hand damit erfolgt - als unbeabsichtigte Nebenwirkung - die Entmythisierung der Natur. Mythen (> Mythos) werden abgewertet und erst in der Tiefenpsychologie wird deren Wert als bildhafte Aussagen über die menschliche Psyche erkannt. Die materialistische Weltsicht ergibt sich durch Reflexion über die Ergebnisse der analytischen Phase naturwissenschaftlichen Forschens: Chemiker finden die 92 natürlichen Elemente als letzte Konstituentien. Physiker (> Physik) entwickeln "Masse" als Oberbegriff für das Materielle und "Energie" als Oberbegriff für die mechanischen, thermischen, elektrischen und magnetischen Kräfte. Als dann am Beginn des 20. Jh. Albert Einstein den Nachweis erbringt, dass Materie bzw. Masse in Energie übergeführt werden kann und Energie in Materie, entsteht das Energie-Paradigma: ein Theoriengebäude, das alle naturwissenschaftlichen Disziplinen überdacht. Von nun an glaubt man, die gesamte stoffliche Wirklichkeit (sowie auch deren Epiphänomen, der menschliche Geist) liesse sich auf den Begriff "Energie" zurückführen. Dieser sich, aus dem Energie-Paradigma ergebende, ontologische Reduktionismus ist das, was man in der Philosophiegeschichte als Materialismus bzw. materialistische Weltsicht bezeichnet.
Zeitgleich mit dem Zustandekommen des Energie-Paradigmas erfolgt aber auch die Wende von der analytischen zur (auch) synthetischen Phase der Naturwissenschaft. Dies führt dann gegen Ende des 20. Jh. zur Überwindung des Materialismus und - Hand in Hand damit - zu einer differenzierteren Sicht des Stofflichen. Begonnen hat die Entwicklung mit dem Nachweis der Struktur des Atoms. Vor allem W. Pauli weist darauf hin, dass das Atom nur verstanden werden kann, wenn man es als > Ganzheit betrachtet, dass aber Ganzheit (> Holon) - das Mehrsein als die Summe der Teile - mit dem Energiebegriff der Physik nicht erfasst werden kann. In den folgenden Jahrzehnten wird noch eine Vielzahl derartiger - mit dem Energiebegriff nicht fassbarer - Begriffe in die Naturwissenschaft eingeführt: > Komplexität > Selbstregulation > System, Autopoiese und Spontaneität, Information, Kognition > Emotion, Kommunikation, Verhalten usw. Für all die mit diesen Ausdrücken benannten, empirisch fundierten Sachverhalte wird ein neuer Geistbegriff entwickelt, der mit dem heutigen Wissen über die Natur kompatibel ist. Man unterscheidet heute nicht mehr Materie und Geist im archaischen Sinn, sondern den materiellen und den geistigen Aspekt der raumzeitlichen Wirklichkeit. (> Unbewusstes, psychoides)
Literatur: Obrist, W. (1999): Die Natur - Quelle von Ethik und Sinn.
Autor: W. Obrist