Konkretismus

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Keyword: Konkretismus

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Definition: Als Konkretismus (lat. concretio, Verdichtung, Körperlichkeit) wird eine bestimmte Auffassung von der Existenzweise dessen bezeichnet, was in Imaginationen, Träumen und Visionen (> Imagination > Traum > Vision) geschaut oder durch Begriffe und Symbole (> Symbol) benannt wird. Konkretistisch verstanden bzw. aufgefasst werden Träume und Visionen dann, wenn man glaubt, man sehe dabei etwas, das zu selbstständiger Existenz fähig ist: reale (konkrete) Dinge und Personen. Auf dem heutigen Bewusstseinsniveau versteht man Träume und Visionen bildsprachlich (symbolisch): als Gestaltungen des Unbewussten, in denen, an sich unanschauliche, - meist psychische - Sachverhalte veranschaulicht sind.

Information: In frühen Phasen der > Bewusstseins-Evolution werden sozusagen alle Gestaltungen des Unbewussten - weil noch ausschließlich in der Projektion wahrgenommen (perzipiert) - konkretistisch aufgefasst (apperzipiert). Aus dieser Apperzeptionsweisen Weltsicht (> Apperzeption) ist das dualistische archaische Weltbild mit seiner Unterscheidung zwischen Diesseits und Jenseits hervorgegangen. Man glaubt, jenseitige Wesen können im Traum die Seele besuchen, in einer Vision sich dem Menschen zeigen (Erscheinung) oder gar die Seele vorübergehend ins Jenseits hinübertragen (Entraffung).

Definitiv überwunden wird diese Art des Konkretismus - und damit die archaische Weltsicht (> Weltsicht, archaische) - im Zug der Erforschung des Unbewussten. Die entscheidende Entdeckung kommt von C. G. Jung, nämlich der Nachweis, dass auch bei der Vision der spontane Eindruck trügt. Entscheidend für die Überwindung der archaischen Weltsicht ist dieser Nachweis deshalb, weil das Glaubensgut der Religionen - auch der christlichen - vor allem aus (konkretistisch verstandenen) Visionen hervorgegangen ist. Eine andere Art von Konkretismus - der Begriffs-Konkretismus - existiert im physischen Zweig der > Bewusstseins-Evolution. Als die Griechen (um ca. 600 v.) gelernt haben, Begriffe (Abstracta) zu bilden und zu verwenden, stellen sie schon früh die Frage nach deren Existenzweise. Platon versteht Abstracta noch konkretistisch: als Ideen (> Idee) (griech. eidoi), die schon vor der Entstehung der Dinge bestanden haben und sich in einer Art Ideen-Himmel befänden (> Archetyp). Damals glaubt man auch noch, nicht der Mensch, sondern der Kosmos denke, und der Mensch partizipiere daran. In der Geschichte der Philosophie wird Platons Begriffs-Konkretismus gewöhnlich als Realismus (lat. res: Ding) bezeichnet. Überwunden wird er schon, in der auf Platon folgenden Generation, durch Aristoteles. Dieser vertritt die Meinung, Begriffe existierten nur in unseren Köpfen sowie in den Dingen, aus denen sie abstrahiert werden. Man bezeichnet diese Auffassung später als Nominalismus (lat. nomen: Name, Wort, Benennung). Vom allgemeinen Bewusstsein wird die Sicht des Aristoteles - wegen der bald nach der griechischen Klassik einsetzenden Re-Archaisierung - vorerst nicht rezipiert. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Auffassungen findet erst in der Scholastik - im sog. Universalienstreit- statt. Mit dem Nominalismus wurde eine unabdingbare Voraussetzung für das Zustandekommen der empirischen Wissenschaften - und damit letztendlich für die Entdeckung des Unbewussten (> Unbewusstes) und die > Tiefenpsychologie geschaffen.

Literatur: Obrist, W. (1980): Die Mutation des Bewusstseins.

Autor: W. Obrist