Thanatos/Tod: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Thanatos / Tod

Links: > Alchemie > Dissoziation > Aggression > Lebenswende > Libido > Polarität > Suizid

Definition: Thanatos wird in der griechischen Mythologie als ein Bruder von Hypnos und als Symbol des Todes dargestellt, mit verlöschender oder umgestürzter Fackel. S. Freud entwickelt in den 20er Jahren seine Theorie von zwei gegengesetzten menschlichen Urtrieben: dem Eros (> Eros-Prinzip) als dem Lebens- und dem Thanatos als dem Todestrieb, ersterer getragen von der Energie der > Sexualität und teilweise auch der lebenserhaltenden > Aggression, letzterer verbunden mit Hass, masochistischer und sadistischer Aggression, mit Destruktion und Selbstzerstörung. Für Freud wirken beide Triebe als Grundprinzipien des Lebens überhaupt und deshalb auch im Menschen bis in die Zellen hinein. Solange ein Individuum psychisch gesund ist, stehen auch Eros und Thanatos im inneren Ausgleich, liegt aber ausgeprägte Pathologie vor, kann Thanatos sich verselbstständigen und dann zu neurotischem Masochismus oder Sadismus führen.

Information:Die Wirkung des Thanatos kann in allen Äußerungen der Aggression und Destruktion nach außen wie nach innen gerichtet werden, und sie zielt darauf ab, zu einem früheren Zustand als das Leben zurückzukehren, nämlich zur Entropie, zum Wärmetod, zum Stillstand, zum Anorganischen, d. h. es führt alles Lebendige zum Tod zurück. > Regression als Sehnsucht nach Rückkehr ist in diesem Konzept nicht ein Zurückgehen zu den Quellen, ein Entspannen, um wieder zu erstarken, kein Sterben, um wieder geboren zu werden, sondern eine pessimistische und auf Stillstand zielende Tendenz. Freud versteht die beiden Triebe als dualistisch (> Dualismus) und unvereinbar, d. h. aus dem einen kann nicht das andere, kann keine Wandlung entstehen. Das Konzept vom Todestrieb ist in der > Psychoanalyse immer auch umstritten gewesen.

Bei C. G. Jung ist das Thema des Todes in den größeren Zusammenhang seiner monistischen (> Monismus), synthetischen (> Synthese), ganzheitlichen (> Ganzheit) Welt- und Menschenauffassung gestellt, in der auch psychische Energie nicht als entweder gut oder böse, positiv oder negativ verstanden wird. Tod und Leben gehören als polare Gegensätze (> Polarität) zusammen und bilden eine paradoxe Einheit (> Paradoxie). "Von der Lebensmitte an bleibt nur der lebendig, der mit dem Leben sterben will. Denn das, was in der geheimen Stunde des Lebensmittags geschieht, ist die Umkehr der Parabel, die Geburt des Todes. Das Leben der zweiten Lebenshälfte heißt nicht Aufstieg, Entfaltung, Vermehrung, Lebensüberschwang, sondern Tod, denn sein Ziel ist das Ende. Seine-Lebenshöhe-nicht-Wollen ist dasselbe wie Sein-Ende-nicht-Wollen. Beides ist Nicht-leben-Wollen. Nicht-leben-Wollen ist gleichbedeutend mit Nicht-sterben-Wollen. Werden und Vergehen ist dieselbe Kurve." (Jung, GW 8, § 800]])

Der Tod wird als archetypische Vorstellung oder als Symbol begriffen, d. h. er enthält, z. B. die Todesthematik erscheint in Äußerungen des Unbewussten, nicht nur den Charakter der Zersetzung, der Destruktion und Vernichtung, des Leidens und der Endlichkeit, sondern kann auch die Möglichkeit der Wandlung, der Wieder- oder Neugeburt anzeigen: mystische Hochzeit, Todeshochzeit, Mysterium coniunctionis sind metaphorische Ausdrücke dafür. "Im Ganzen war ich erstaunt, zu sehen, wie wenig Aufhebens die unbewusste Seele vom Tode macht. Demnach müßte müssteod etwas verhältnismäßig Belangloses sein, oder unsere Seele kümmert sich nicht darum, was dem Individuum zufälligerweise zustößt. Um so mehr aber scheint sich das Unbewusste dafür zu interessieren, wie man stirbt, nämlich, ob die Einstellung des Bewusstseinstreben passt oder nicht." (Jung, GW 8, § 809) Zwar enthält in der Auffassung Jungs das Leben auch einen Todeskeim, das Ziel des Lebens ist geradezu der Tod, aber umgekehrt ist im Tod auch der Lebenskeim enthalten und beides findet sich in ständigem Wechsel. Wiederholt verwendet Jung für diese Vorstellung das yin-yang-Symbol (> Taoismus. Die Psyche ist nur lebendig, kreativ und schöpferisch, solange einerseits individuell, bewusst und abgegrenzt sein kann, aber auch eine Relativierung, Überschreitung und Tod des eigenen Standpunktes durch andere Menschen oder durch das eigene Unbewusste zulassen kann. Auch Kreativität ist immer ein Prozess (> Kreativität, Phasen der) von Leben und Sterben. Entsprechend ist auch die Sicht der > Regression prospektiv-final (> Finalität) geprägt. Ausgearbeitet ist dieses Verständnis besonders in den alchemistischen Werken. Jung weist zwar immer wieder auf eine mögliche maligne Regression hin und auf die Gefahren, die eine solche symbolische Sicht mit sich bringen kann (> Symbol, Gefahren). Er betont vor allem die Notwendigkeit, jedes symbolische und archetypische Auffassen könne nur vom Standpunkt des bewussten Menschen aus hilfreich sein. Werde das Unbewusste überwertig, so regrediere der Mensch in die Kollektivpsyche und verliere sich als Individuum. Nur solange ein ebenso flexibles und durchlässiges wie fest gefügtes und integrationsfähiges Ich (> Integration) vorhanden ist, wird das Leben mehr geschätzt als Destruktion und der Tod.

Diese ganzheitlich-symbolische Sicht des Todes und die darin spürbare Neigung Jungs zur Synthese und Transzendenz findet auch Kritik. Die Eigendynamik des Todes und die Realität des Endgültigen und Sinnlosen, also Thanatos als in jeder Zelle des menschlichen sich befindend, werde nicht wirklich wahr- und ernst genommen. Alles Dunkel bis hin zum Tod werde nur als den Lebenstrieb fördernd verstanden. Die Verleugnung dieser Realität führe dazu, dass in der Analytische Psychologie eine Hälfte der Realität ausgeblendet sei und dass eine mystizierende und romantizierende Verherrlichung und Umdeutung aller Dunkelheit des Lebens stattfinde. Gerade daraus könne eine überwertige Todessehnsucht und Geringschätzung des Lebens erwachsen. Nur, wenn der Tod genau so eigenständig eingeschätzt werde wie das Leben, könne ein Mensch sich auch - trotz des Dunkels, der Sinnlosigkeit und des Todes - wirklich und bewusst dazu entscheiden, seinem Leben einen > Sinn zu geben und das Leben als einen einmaligen und lebendigen Seinszustand zu schätzen (vgl. Lesmeister, 1992).

"Der Tod ist ja auch eine fruchtbare Brutalität - darüber darf man sich nicht täuschen - nicht nur als physisches Geschehen, sondern viel mehr noch als psychisches: ein Mensch wird weggerissen, und was bleibt, ist eisige Totenstille. Keine. Hoffnung besteht mehr auf irgendeinen Zusammenhang, denn alle Brücken sind abgebrochen. Menschen, denen man ein langes Leben gewünscht hätte, werden mitten aus dem Leben dahingerafft, und Nichtsnutze erreichen ein hohes Alter. Das ist eine grausame Realität, die man sich nicht verhehlen sollte.. Unter einem anderen Gesichtspunkt aber erscheint der Tod als ein freudiges Geschehen. Sub specie aeternitatis ist er eine Hochzeit, ein Mysterium Coniunctionis. Die Seele erreicht sozusagen die ihr fehlende Hälfte, sie erlangt Ganzheit." (Jung, Jaffé, 1962, S. 317]])

Letztlich ist es Jungs eigene Erfahrung und seine Persönlichkeit, die sein Verständnis der Todesdynamik innerhalb der Psyche ausmacht. Zum Tod als definitivem Ende des psychischen Prozesses macht Jung keine Aussagen, behält sich aber die Möglichkeit einer Weiterexistenz, z. B. in Form der Reinkarnation vor. Für ihn gehört der Tod zu den großen Geheimnissen des Lebens und des Seins und darüber etwas zu sagen, wäre für ihn > Metaphysik. Aussagen machen will er über das empirisch wahrnehmbare Leben und das Lebendige.

Literatur: Franz, M.-L. v. (1984]]): Traum und Tod; Grof, S. (1985): Geburt, Tod und Transzendenz: neue Dimensionen in der Psychologie; Hark, H. (1995]]): Den Tod annehmen.

Autor: A. Müller