Philosophie, östliche

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Keyword: Philosophie, östliche

Links: > Buddhismus > Christentum > Hinduismus > Individuation > Philosophie/Philosophia perennis > Mystik > Tantrismus > Taoismus

Definition: Unter östlicher Philosophie (> Philosophie > Metaphysik) werden im Allgemeinen philosophische und religiöse Gedanken aus dem fernöstlichen, vor allem ostasiatischen Kulturkreis zusammengefasst. Schon immer haben sich die Philosophen und philosophischen Schulen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Zeiten gegenseitig beeinflusst. In der griechischen und römischen Philosophie der Antike fließt abendländisches und morgenländisches, auch asiatisches Gedankengut zusammen. Im 19. Jahrhundert, bedingt durch Imperialismus, Industrialisierung und beginnender Globalisierung der Wirtschaft beginnt auch ein interkultureller Austausch in vorher nicht gekannter Intensität und Breite, der zur vermehrten Auseinandersetzung der europäischen Philosophie mit der östlichen - vor allem > Buddhismus, > Hinduismus, Konfuzianismus, > Taoismus führt (etwa bei Nietzsche und Schopenhauer). Während die westliche > Philosophie und > Metaphysik in der Tradition eines dichotomischen, materialistischen (> Materie/Materialismus), rationalistischen, analytischem (> Analyse) und idealistischen Denken gesehen werden kann, haben die östlichen Philosophien eher ein monistisches (> Monismus) ganzheitliches Denken, dass Polaritäten und Paradoxien nicht zergliedert und reduziert, sondern bestehen lässt.

Information: Die Reflexion des Verhältnisses C. G. Jungs zu fernöstlichen Philosophien unterliegt - v. a. in der populärwissenschaftlichen Literatur, aber nicht nur dort - einem häufigen Missverständnis. Entgegen der landläufigen Meinung ist Jung nämlich durchaus kein Verfechter der Übernahme fernöstlichen Gedankenguts in unser europäisches Kultursystem. Vielmehr zeigt das Studium seiner diesbezüglichen Schriften ein quasi wellenförmig verlaufendes Verhältnis, geprägt von teilweise klar voneinander abgrenzbaren Phasen von Faszination und Skepsis. Die Beschäftigung Jungs mit östlicher Religion und Philosophie beginnt früh und zieht sich durch sein Leben. Vor allem aber die Begegnung und mehrjährige Freundschaft mit dem Sinologen R. Wilhelm und die daraus hervorgegangene Auseinandersetzung mit einem von diesem übersetzten taoistischen Text – „Das Geheimnis der goldenen Blüte“- kann als Meilenstein in Jungs Verhältnis zu ostasiatischer Philosophie und Religion, jedoch auch, darauf wird immer wieder hingewiesen, in seiner eigenen > Individuation, betrachtet werden. In der Folgezeit veröffentlicht Jung zahlreiche Schriften zu einzelnen Aspekten taoistischer, hinduistischer und buddhistischer Überlieferung. Seine diesbezüglichen Kenntnisse können für die damaligen Verhältnisse, gefördert durch den Kontakt zu Wilhelm und anderen Sinologen, als durchaus profund gelten. Seine sehr enge Anlehnung an die wilhelmschen Übersetzungen führt aber auch bei Jung zu manchen Einseitigkeiten, die gerade durch die moderne sinologische Kritik an dessen Übersetzungen (vgl. Möller, 2001) deutlich wird. Jung schreibt keine große Abhandlung über seine Sicht der ostasiatischen Gedankenwelt. Sein Interesse gilt der psychologischen Betrachtung einzelner Texte, zu denen er jeweils Kommentare verfasst (vgl. GW 11, GW 13). Die wichtigsten davon sind die Kommentare zum Tibetanischen Totenbuch, zum Geheimnis der Goldenen Blüte sowie zum Buch der Wandlungen (> I Ging), mit dem er sich bereits seit Anfang der 20er Jahre beschäftigt. Jung findet in den Aussagen der alten asiatischen Schriften eine Bestätigung vieler seiner Thesen und entdeckt das in den Texten liegende Potenzial bezüglich der Weiterentwicklung und Ergänzung seiner eigenen Ideen. Schließlich nutzt Jung die Gelegenheiten zur Kommentierung asiatischer Texte zur Verdeutlichung seiner Ideen an deren eindrücklichem Beispiel, ja er hat die "großen östlichen Philosophen" im Verdacht auch Psychologen zu sein, die eine ähnliche Methode verfolgen, wie er selbst. Jungs Skepsis und Vorsicht bezüglich einer zu unkritischen Annäherung an die östlichen Philosophien zeigen sich in Schrift und Tat. Die geistige Entwicklung sei im Westen ganz andere Wege gegangen als im Osten und in einem bloß Anempfinden östlicher Ekstatik, einer wortwörtlichen Übernahme von Yogapraktiken und deren Imitation verlasse der westliche Mensch "den einzig sicheren Boden des westlichen Geistes und verliert sich in einem Dunst von Wörtern und Begriffen, die niemals aus europäischen Gehirnen entstanden wären und die auch niemals auf solche mit Nutzen aufgepfropft werden können." (Jung, GW 13, § 3) "Die wachsende Bekanntschaft mit dem geistigen Osten darf uns nur symbolischer Ausdruck der Tatsache bedeuten, dass wir anfangen, mit dem noch Fremden in uns in Verbindung zu treten. Verleugnung unserer eigenen historischen Vorbedingungen wäre reine Torheit und wäre der beste Weg zu einer nochmaligen Entwurzelung. Nur indem wir feststehen auf eigener Erde können wir den Geist des Ostens assimilieren." (Vgl. GW 13, § 71f)

Während seiner Indienreise 1938 vermeidet Jung, Shri Ramana Maharshi zu besuchen. Er kritisiert an ihm - wie überhaupt an der indischen Philosophie - dass er seine Erfahrungen als Realitäten (> Hypostasierung) setze, ohne sich ihres hypothetischen Charakters bewusst zu sein. Auch seien das Ich-Bewusstsein und die leibliche Existenz nicht zu vernachlässigen, denn ohne "den gewiss sehr anfechtbaren physischen und psychischen Menschen ist auch das Selbst völlig gegenstandslos." (Jung, GW 11, § 959) Kritiker werfen Jung vor, er habe sich nicht wirklich auf die östliche Philosophie und ihre Erfahrungsdimensionen eingelassen. Jung hingegen ist der Auffassung, dass der Westen seinen eigenen Yoga auf christlicher Basis hervorbringen müsse (Jung, GW 11, 876). "Die Weisheit und die Mystik des Ostens haben gerade uns sehr viel zu sagen, wenn schon sie ihre eigene, nicht nachzuahmende Sprache sprechen. Sie sollen uns an das erinnern, was wir in unserer Kultur an Ähnlichem besitzen und schon vergessen haben, und unsere Aufmerksamkeit auf das richten, was wir als unerheblich zur Seite schieben, nämlich auf das Schicksal unseres inneren Menschen." (Jung, GW 11, § 963)

keine

Literatur: Jung, C. G., Clarke, J. J. (1997): C. G. Jung und der östliche Weg; Wegener-Stratmann, M. (1990): C. G. Jung und der östliche Weg

Autor: R. T. Vogel