Schizophrenie
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Definition: Der Begriff "Schizophrenie" (griech. Skizein: Abspaltung, Isolierung; griech. phrenes: seelische Anteile) ist von E. Bleuler geprägt worden und bezieht sich auf die Abspaltung oder Isolierung psychischer Anteile. Die Spaltungsphänomene (> Spaltung) lassen sich sowohl auf innere Fragmentierungen (> Dissoziation) des psychischen Geschehens als auch auf die Abspaltung schizophrener Menschen vom sozialen Leben beziehen. Schizophrenie ist eine durch große Häufigkeit, Chronizität und schwere Beeinträchtigung der Fähigkeit zu selbstständigem Leben charakterisierte, psychiatrische Erkrankung, die sich durch einen gravierenden Einbruch in die Integrität der > Persönlichkeit äußert. Diese desintegrative Eigenschaft der schizophrenen Psychosen kann sich auf allen Gebieten des mentalen Lebens manifestieren:]] > Wahrnehmen, > Denken, > Fühlen, > Fantasieren und Handeln. Nach der internationalen Klassifikation psychiatrischer Erkrankungen ist Schizophrenie durch grundlegende und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadäquate und verflachte Affekte gekennzeichnet.
Information: Schizophrenieforme Psychosen sind erstmals von E Kraepelin als Dementia praecox beschrieben worden, d. h. als vorzeitige Störung der Intelligenz. Drei typische Verlaufsformen werden charakterisiert: etwa 1/3 mit früher Chronifizierung, etwa 1/3 mit episodischem (schubweisem]) Verlauf und 1/3 mit Ausheilung. Untertypen: paranoide Form, hebephrene Form, katatone Form, schizophrenes Residuum, Schizophrenia simplex. Nach Daten der Weltgesundheitsorganisation ist die Gruppe der Schizophrenien nicht nur im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen, sondern in der Gesamtheit aller Krankheiten weltweit als eine der gravierendsten und ökonomisch teuersten Erkrankungen zu bezeichnen; dies nicht nur wegen der hohen Inzidenz (1999 sind in Deutschland etwa 350. 000 Menschen an Schizophrenie erkrankt), sondern auch wegen der Schwere der Erkrankung (etwa 50 Tage pro Jahr sind noch berufstätige, schizophren Erkrankte im Mittel arbeitsunfähig) und wegen der hohen Behandlungs- und Betreuungskosten infolge der erforderlichen Intensität von Therapie (> Psychosentherapie).
Die Schwere der sehr leidvoll erlebten Störung dokumentiert sich auch in einer sehr hohen Suizidrate. Die Ursachen der Erkrankung werden heute durch das "Vulnerabilitäts-Stress-Modell" nach Nüechterlein & Dawson erklärt. (1984) Demnach gibt es bei schizophren Erkrankten eine durch genetische und andere neurobiologische Faktoren (z. B. frühe Differenzierungsstörungen des ZNS, frühe Viruserkrankungen, Immundeffizienzen bedingte konstitutionelle Schwäche, die im Zusammenwirken mit auslösenden psychologischen Faktoren (> Krise > Stress > Trauma) - d. h. infolge von psychosozialen Belastungen in Reifungskrisen, Störungen im Familien-System und im Beruf - zum Ausbruch der psychotischen Dekompensation führt. Die Schizophrenie führt zu einer "Dissoziation der Persönlichkeit, d. h. einer Auflösung der Geschlossenheit des Bewusstseins" (Jung, GW 6, § 916). Die Behandlung sollte deshalb zweigleisig erfolgen und sowohl der neurobiologisch konstitutionellen Schwäche (Psychopharmakatherapie), als auch der psychischen Konstellation (Psychotherapie) Rechnung tragen. Angewandte Psychotherapieformen, die nicht-aufdeckenden Charakter haben sollten, sind psychoseorientierte Psychotherapien wie supportive problemorientierte Therapieformen, systemische Therapieformen, Familientherapien und Gruppenpsychotherapien.
C. G. Jung ist zusammen mit E. Bleuler einer der Pioniere in der Erforschung der Schizophrenie (vgl. Jung, GW 3) gewesen. Mithilfe des > Assoziationsexperiments untersucht er insbesondere die, für diese Erkrankung typische, Art der > Assoziationen und Denkstörungen, außerdem entdeckt er universale, allgemeinmenschliche Motive und Symbole in den Fantasien der Patienten. In seiner Arbeit über die Symbole und die Wandlung der Libido (Jung, GW 5) einer an Schizophrenie erkrankten Frau formuliert Jung erstmals dezidiert seinen Archetypen-Begriff, die Idee des kollektiven Unbewussten und seine erweiterte Vorstellung von der > Libido
Die Analytische Psychologie kann diese archetypische Dimension und die gesteigerte Kreativität bei schizophrenen Psychosen, die nach H. Emrich (Emrich, 2002) durch die "Zensur-Schwäche"- Theorie der Schizophrenie erklärt werden kann, therapeutisch nutzen. Hierbei kommt es insbesondere darauf an, neue integrative Kontexte kreativ zu stabilisieren, die die Kohärenzleistungen des Mentalen verbessern (Reintegration von Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln) und auf diese Weise den Spaltungs- und Abtrennungsphänomenen bei den Patienten entgegenzuwirken.
Literatur:Emrich, H. (2002): Neurowissenschaften als Herausforderung für die Psychotherapie; Häfner, H. (2000): Das Rätsel Schizophrenie; Ribi, A. (1993): Jungs Auffassung von der Schizophrenie.
Autor: H. Emrich