Amplifikation
Keyword: Amplifikation
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Definition: Die Amplifikation (lat. amplificare: erweitern, unter verschiedenem Gesichtspunkt betrachten, anreichern, vertiefen) wurde von C. G. Jung als ein Aspekt der > Deutung in die Psychotherapie eingeführt (vgl. Jung, GW 12, § 403 f.). Während bei der freien > Assoziation immer weiteren Einfällen gefolgt wird, die vom Ursprungsthema oder Symbol wegführen können, wird bei der Amplifikation das psychische Ereignis immer wieder neu umkreist, um die vielen Bedeutungsfacetten des Motivs im Zusammenhang mit dem eigenen, persönlichen, wie auch den allgemeinmenschlichen archetypischen Zusammenhängen zu erkennen. Es wird dann z. B. danach gefragt, welche Bedeutung das Symbol oder Ereignis in der Gesellschaft oder in anderen Kulturen hat, wie es beispielsweise in den Religionen, den Mythen, Märchen, der Weltliteratur, der Kunst, den Filmen, in Redensarten und Witzen oder auch Bereichen der Gesellschaft (Modetrends, Werbung) und Politik auftaucht, verarbeitet und verstanden wird.
Information: Keine.
Die Amplifikation kann dazu verhelfen, aus einer allzu persönlichen, allzu engen, vielleicht auch allzu „egozentrischen“ Sichtweise bestimmter Themen und Symbole herauszufinden. Sie ermöglicht es, voneinander abweichende Perspektiven zur gleichen Zeit einzunehmen. Wenn allgemeinmenschliche Aspekte einbezogen werden, kann sie den Einzelnen mit dem „universalen“ Menschen der Vergangenheit und der Gegenwart verbinden (> Anthropos), ihn die Gemeinsamkeit, Ähnlichkeit und Verbundenheit mit dem Lebensprozess spüren lassen. (Eine Variante der Amplifikation findet in Gruppentherapien statt, wenn die Gruppenteilnehmer die Erfahrungen Einzelner mit ihren eigenen Erfahrungen anreichern und ergänzen.) Im Erleben von Gemeinsamkeit kann sehr viel Befreiendes und Tröstendes liegen. Es macht das Leben um vieles leichter, wenn erlebt wird, dass in einer schwierigen Lebenslage eine existenzielle, allgemeinmenschliche Problematik liegt, mit der viele Menschen zu ringen haben („Universalität des Leidens“).
„Wenn ein Patient die Unausweichlichkeit seiner inneren Entwicklung zu empfinden beginnt, so kann ihn leicht die Panik überfallen, dass er rettungslos einem Abgleiten in nicht mehr verstehbare Tollheit ausgeliefert sei. Es ist mir mehr als einmal vorgekommen, dass ich in einem solchen Fall nach dem Bücherschaft gegriffen, einen alten Alchimisten heruntergeholt und dem Patienten sein erschreckendes Fantasiebild in jener Form gezeigt habe, in welcher es schon vor 400 Jahren gedruckt wurde. Das wirkt beruhigend, denn der Patient sieht, dass er sich keineswegs allein in einer fremden Welt, von der niemand etwas versteht, befindet, sondern dass er zum großen Strom der historischen Menschheit gehört, welche schon lange und unzählige Male erlebt hat, was er als seine nur persönliche, pathologische Ausgefallenheit betrachtet.“ (Jung, zit. nach Jacobi, 1971 b, S. 114)
Die Amplifikation kann auch das Gefühl der Bedeutsamkeit und Wichtigkeit eines seelischen Ereignisses erhöhen. Sie kann bisher nicht berücksichtigte Zusammenhänge eröffnen und die Ahnung eines transpersonalen Hintergrundes erwecken (> Transpersonale Psychologie). „Die Begegnung mit diesen archetypischen Dimensionen ist im ursprünglichen Sinne des Wortes „bildend“. Das Bewusstsein bekommt Bilder und Bildung, erweitert seinen Horizont und lädt sich auf mit Inhalten, die ein neues Gefälle, d. h. neue Probleme, aber auch neue Lösungen konstellieren. „Indem die nur personalen Daten in Verbindung treten mit transpersonalen, und der kollektive Menschheitsaspekt wieder entdeckt wird und lebendig zu werden beginnt, wachsen der personalistisch verengten und erstarrten Persönlichkeit des erkrankten modernen Menschen neue Einsichts- und Lebensmöglichkeiten zu.“ (Neumann, 1949 a, S. 11)
Es besteht bei einer zu abstrakten Amplifikation allerdings die Gefahr, durch ein rein philosophisches Intellektualisieren und Spekulieren in der Unverbindlichkeit des Allgemein-Menschlichen stecken zu bleiben oder gar in „geistige Höhen“ abzuheben (> Inflation), wobei der Bezug zur persönlichen Situation des Individuums aus den Augen verloren wird. Erich Neumann betont deshalb, dass es notwendig sei, die archetypische Dimension zu „aktualisieren“ (> Aktualisierung), d. h. die Hier- und Jetzt-Bedeutung dieses Allgemein-Menschlichen herauszuarbeiten und zur Verwirklichung zu bringen. Die Amplifikation habe z. B. gerade die individuelle Variante und Bedeutung der Symbolik und der Situation von der allgemein-menschlichen abzuheben. Während die Analytische Psychologie die Bedeutung des Aktual-Konflikts betone und deswegen im Gegensatz zur nicht alles Heil darin sehe, in der Kindheits- und Frühgeschichte des Ich die krankmachenden Faktoren zu entdecken, „läuft sie umgekehrt eine entsprechende Gefahr, wenn sie den Erfahrungen des mythischen Geschehens, des kollektiven Unbewussten, ein so großes Gewicht zuspricht, dass sie darüber vergisst, die aktuellen Konsequenzen herauszuarbeiten, die eine solche Erfahrung für das Ich und die Persönlichkeit bedeuten.“ (Neumann, 1953, S. 108f)
Neben der Aktualisierung ist bei der Amplifikation – wie bei aller Deutung – ebenfalls die „Stimmigkeit“ und „Passung“ zu überprüfen. Zwischen dem psychischen Ereignis und der Amplifikation sollte nicht irgendeine Ähnlichkeit, sondern eine weitgehende Entsprechung bestehen, die auch dem Patienten vor dem Hintergrund seiner inneren und äußeren Welt plausibel wird.
Literatur: Dieckmann, H. (1979): Methoden der Analytischen Psychologie; Jacoby, J. (1971): Die Psychologie von C. G. Jung; Müller, L., Knoll, D. (1998): Ins Innere der Dinge schauen.
Autor: L. Müller