Geschlechtsidentität

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Keyword: Geschlechtsidentität

Links: > Anima/Animus: Klassische Auffassung > Bewusstsein, matriarchales > Bewusstsein, patriarchales > Ehe/Partnerschaft > Eros-Prinzip > Geschlecht > Männliches und Weibliches Prinzip > Sexualität > Sexualität als Symbol

Definition: Der Begriff Geschlechtsidentität (Identität von lat. idem: dasselbe, in verschiedenen Situationen das-, der-, dieselbe sein) wurde 1969 vorgeschlagen, um den der sexuellen Identität zu ersetzen, weil dieser der Vielschichtigkeit des Phänomens nicht mehr gerecht wurde. Die Geschlechtsidentität bezeichnet die Kontinuität des Selbsterlebens eines Individuums im Hinblick auf sein > Geschlecht und die Gesamtheit der bewussten und unbewussten geschlechtsbezogenen Aspekte, Vorstellungen und Erlebensweisen, die mit der eigenen Identität genuin verbunden werden. Die Geschlechtsidentität ist das Resultat verschiedenster komplexer biologischer, psychologischer, sozialer und kultureller Einflussgrößen. Sie kann in drei Komponenten unterteilt werden: 1. Die Kern-Geschlechtsidentität, das uranfängliche, zunächst noch sprachlose Erleben des biologischen Geschlechtes. In den Interaktionen mit den Bezugspersonen werden Selbstrepräsentanzen (> Selbstrepräsentanz) entwickelt, die die Grundlage für die Männlichkeit bzw. Weiblichkeit legen; 2. Die Geschlechtsrollen-Identität. Sie bildet die Fortsetzung der Kern-Geschlechtsidentität auf einem höheren symbolisch sprachlichen Niveau; 3. Die Geschlechtspartner-Orientierung. Sie bezieht sich auf das bevorzugte Geschlecht des Liebespartners. Während diese in der Kindheit zunächst noch bisexuell ist, erfährt sie in der > Adoleszenz und dem frühen Erwachsenenalter eine hetero- oder homosexuelle Ausgestaltung (vgl. Mertens, 1997).

Information: Das Erleben der eigenen Geschlechtsidentität zeigt sich im Wissen und Bewusstheit um sich selbst und der eigenen Geschlechtlichkeit, aus Sicht C. G. Jungs auch in Hinblick auf den gegengeschlechtlichen Seelenanteil (> Anima/Animus: Klassische Auffassung). Jungs Schriften sind voller Beispiele aus der Mythologie und der Geschichte, die darauf hinweisen, wie wichtig und wertvoll es ist, die Eigenschaften beider Geschlechter in einer Person anzuerkennen. Männer und Frauen können ihre vollen menschlichen Möglichkeiten nur dann ausschöpfen, wenn sie auch die gegengeschlechtlichen Aspekte mit berücksichtigen. Er unterscheidet Bisexualität von der > Androgynie: Bisexualität, als offenes Ausleben von männlichem und weiblichem sexuellen Verhalten, fasst er als, in unserer westlichen Welt, missverstandenen Ausdruck für eine natürliche, jedoch unbewusste Tendenz zur]] > Androgynie auf. Androgynie hingegen beginne mit der Bewusstwerdung des männlichen und weiblichen Potenzials in jedem Menschen und werde dann verwirklicht, wenn die Fähigkeit zu einer harmonischen Beziehung zwischen den männlichen und weiblichen Aspekten in einer Person entwickelt werde. Hierbei komme es aber nicht zu einer Vermischung der geschlechtsspezifischen Charakteristika wie beim Hermaphroditen (> Hermaphrodit). J. Singer hat Jungs Erkenntnisse und Forschungen zur Androgynität erweitert und vertieft. Die Zukunft des ganzheitlichen Menschenbildes liegt für sie in der > Integration der männlichen und weiblichen Eigenschaften in jedem Menschen auf der geistig- seelischen Ebene. (Singer, 1976)

Ein Gegensatzpaar, welches in Jungs Werk wichtige Bedeutung erlangt, jedoch wie das Anima/Animus-Konzept auch seine, zum Teil durch den Zeitgeist bedingte, vorurteilsbehaftete Einstellung gegenüber den sozialen Geschlechtern zum Ausdruck bringt (> Anima/Animus: Kritik und Weiterentwicklung des Konzepts), ist „Eros“ und „Logos“ (> Eros-Prinzip > Logos-Prinzip). Jung geht vom Vorhandensein zweier archetypischer symbolischer Prinzipien aus: dem männlichen Prinzip als Logos und dem weiblichen Prinzip als Eros (> Männliches und Weibliches Prinzip). Logos und Eros seien als Prinzipien in beiden Geschlechtern vorhanden und einander gleichwertig. Wenn diese beiden Prinzipien in Harmonie gebracht würden, empfinde sich der Mensch als ganz und vollständig. Obwohl Jung durch das Prinzip des Eros und Logos die fundamentale Dichotomie der Menschheit, der menschlichen Kultur und Psychologie zum Ausdruck bringen will, ordnet er gelegentlich Eros und Logos als geschlechtsspezifische Eigenschaften Frauen oder Männern zu. Frauen seien immer schon in erster Linie auf die persönliche Welt der Liebe und der intimen Beziehungen hin orientiert, während das Hauptanliegen der Männer die materielle Welt der Dinge, die sinnliche Welt der Sexualität, die gesellschaftliche Welt der Politik und die kulturelle Welt des Geistes sei.

Literatur: Höhler, G., Koch, M. (1998): Der veruntreute Sündenfall; Mertens, W. (1996): Entwicklung der Psychosexualität und Geschlechtsidentität; Singer, J. (1981): Nur Frau – nur Mann?

Autor: A. Kuptz-Klimpel