Über-Ich: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:35 Uhr
Keyword: Über-Ich
Links: > Bewusstsein, kollektives > Ethik > Ethik, neue > Ideal-Ich > Internalisierung > Moral > Persona > Stimme, innere
Definition: Das Über-Ich bezeichnet in der > Psychoanalyse die Instanz der Persönlichkeit, von der Wertorientierung und Normensetzung ausgehen. Umgangssprachlich wird der Begriff inzwischen oft synonym mit Gewissen (> Ethik > Moral > Stimme, innere) verwendet. Nachdem das topische Erklärungsmodell zur klaren und angemessenen Beschreibung des neurotischen Konflikts nicht genügt hat, entwickelt S. Freud 1923 das Strukturmodell der > Persönlichkeit mit drei Instanzen der Persönlichkeit:Ich, Es, Über-Ich (vgl. Freud, GW 15, S. 62-86) Das Über-Ich ist hierbei eine Unterstruktur des Ichs, die verbietend, auffordernd, drohend und belohnend auf das Ich einwirkt. Es stellt einen intrapsychischen Vertreter der Beziehungen und Vorstellungen dar, die das Individuum insbesondere zu seinen Eltern und ganz allgemein zur Gesellschaft hat. Die teils bewussten und teils unbewussten Funktionen des Über-Ichs sind die Aufrichtung eines Wertesystems und dessen Integration ins Ideal-Ich. Dabei findet sowohl eine Ausrichtung der Einstellungen und des Verhaltens nach diesem Wertesystem statt, als auch der Versuch, die diesem Wertesystem nicht entsprechenden Einstellungen und Verhaltensweisen durch Selbstkritik und Forderung nach Triebeinschränkung etc. auszuschalten.
Information: Die klassische psychoanalytische Interpretation definiert das Über-Ich als Erbe des Ödipuskomplexes und nimmt an, dass es sich durch die Verinnerlichung der elterlichen Forderungen und Verbote bildet: "So wird das Über-Ich des Kindes eigentlich nicht nach dem Vorbild der Eltern, sondern des elterlichen Über-Ichs aufgebaut; es erfüllt sich mit dem gleichen Inhalt, es wird zum Träger der Tradition, all der zeitbeständigen Wertungen, die sich auf diesem Wege über Generationen fortgepflanzt haben." (Freud, GW 15, S. 73) M. Klein setzt die Bildung des Über-Ichs bzw. Vorläufer davon schon zu einem früheren Zeitpunkt auf den präödipalen Stufen an.
C. G. Jung verwendet den Begriff Über-Ich nur im Rahmen seiner Diskussion der Ansichten Freuds und sieht im Über-Ich eine bewusste Erwerbung und einen ebenso bewussten Besitz, der aus dem jeweiligen Moralkodex einer Gesellschaft resultiert. Jung geht vom archetypischen Kern des Gewissen aus, der dafür verantwortlich ist, dass ein Kollektiv nach Werten, Normen, Umgangs- und Beziehungsregeln sucht und sich eine kollektive Moral wie ein individuelles Gewissen ausbilden kann: "Das Gewissen bringt die stets notwendigerweise vorhandenen Gegensätze zur bewussten Wahrnehmung. Es wäre der größte Irrtum, anzunehmen, dass man sich dieser Gegensätzlichkeit je entledigen könnte, denn sie ist ein unerlässliches Strukturmerkmal der Psyche." (Jung, GW 10, § 844) Das Über-Ich, die kollektive Moral, wird von Kultur und Tradition gestützt. Mit und gegen den Hintergrund dieser Kollektivmoral muss sich jeder Mensch sein eigenes Wertesystem und seine eigene Ethik (> Ethik > Ethik, neue) erarbeiten.
Neuere psychoanalytische Untersuchungen bestätigen, dass der archetypische Charakter des frühen Über-Ichs durch elterliche Introjekte eher modifiziert als verstärkt wird.
Literatur: Mertens, W. (Hrsg.]]) (1993): Schlüsselbegriffe der Psychoanalyse.
Autor: H. Obleser