Sexualität: Unterschied zwischen den Versionen

Aus aip-lexikon.com
Zur Navigation springenZur Suche springen
de>Anlumue
K (1 Version importiert)
 
K (1 Version importiert)
 
(kein Unterschied)

Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Sexualität

Links: > Eros-Prinzip > Freud-Jung-Beziehung > Geschlecht > Geschlechtsidentität > Instinkt > Libido > Liebe > Sexualität als Symbol

Definition: Allgemein wird mit Sexualität (lat. sexualis: zum Geschlecht gehörend) die Gesamtheit der Vorgänge, die mit sexueller Lust und sexuellem Verhalten verbunden sind, verstanden. Sexualität als eines der wesentlichen Grundbedürfnisse beinhaltet, dass Menschen sich angezogen oder getrieben fühlen, in intimer körperlicher Beziehung zu zweit oder allein lustvoll-sinnliche Erfahrungen zu machen, Zärtlichkeit, Genuss und sexuelle Erregung, sowie deren Befriedigung zu erleben. Neben der Befriedigung sexueller Bedürfnisse zeichnet sich die menschliche Sexualität auch durch den Aspekt der Erotik aus, der aufgrund subjektiven psychischen und physischen Erlebens eine umfassende Sensibilisierung bewirkt, die über eine reine Bedürfnisbefriedigung und Fortpflanzung hinausgeht. Zum sexuellen Leben gehören neben der geschlechtlichen Aktivität und Betätigung zwischen Partnern unterschiedlichen oder gleichen Geschlechtes (> Homosexualität) sexuelle Fantasien, Träume, Selbstbefriedigung und sonstige Praktiken (wie Masochismus oder Sadismus). Außer von individuellen Erwartungen und Wünschen, Erfahrungen, Vor- und Einstellungen wird die menschliche Sexualität wesentlich von kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnissen und Normen geprägt.

Information: S. Freud hat in einer Zeit stärkster gesellschaftlicher Verdrängung und Tabuisierung die Sexualität wieder ins Gespräch gebracht. Freud erkennt, dass es sich beim Sexualtrieb um eine Energie (> Libido) von außerordentlicher Kraft handelt. Die grundlegende Annahme seiner Sexualtheorie war, dass alle psychischen Störungen (>Neurose durch sexuelle > Verdrängung oder sexuelleTraumata (> Trauma/Traumatisierung verursacht seien. Er entwickelt eine umfassende Theorie einer fortschreitenden Sexualentwicklung des Kindes (> Triebentwicklung, Phasen der) mit den Libidostufen narzisstisch, oral, anal, phallisch und genital. Störungen in einer dieser Phasen führen nach Freuds Auffassung zu Persönlichkeits- und Entwicklungsstörungen. Freud führt darüber hinaus die Entstehung der gesamten kulturellen (> Märchen > Mythos > Philosophie), geistigen (> Geist > Religion) und künstlerischen (> Dichtung > Kunst) Entwicklung des Menschen letztlich auf die > Sublimierung der sexuellen Libido zurück.

C. G. Jung hat schon früh die Annahmen Freuds zur Sexualität als Einengung der Vielschichtigkeit menschlichen Seelenlebens empfunden, deren Gültigkeit angezweifelt und seit 1912 mit „Wandlungen und Symbole der Libido“ auch ausgearbeitet. Der Vorwurf des Konkretismus, einer zu personalisierten Sichtweise der Psyche und der Sexualität und einer reduktiven Deutung (> Reduktion vs. Synthese), den die Analytische Psychologie der Psychoanalyse macht, wird teilweise an dieser unterschiedlichen Auffassung der Libido und der Sexualität ausgearbeitet (> Freud-Jung-Beziehung). Jung gesteht Freud zu, dass er ein neurotisierendes Tabu brach, hält aber die Überbetonung der Sexualität für schädlich. "Vor Freud durfte nichts sexuell sein, jetzt ist alles auf einmal sozusagen 'nichts als' sexuell." (Jung, GW 17, § 100) Jung definiert Libido in einem weiteren Sinn als allgemeine psychische Lebens-Energie, die sich in verschiedene Kanäle ergießen kann, darunter auch in den Kanal der Sexualität. Er bezeichnet die Sexualität auch als "Wortführer der Triebe", die sich dem Geist als "ebenbürtigen Trieb" gegenüber stellt. Geist und Trieb/Materie sind bei Jung zentrale Polaritäten der Psyche, aus deren Gegensatz sich die seelische Energie speist und der Fluss der Libido in Gang kommt. Geist und Materie sind zwei Seiten einer Sache. Anders als Freud versteht er Trieb bzw. Instinkt als den körperlichen Aspekt der archetypischen Struktur, nicht spezifisch als Sexualtrieb. "Aus der Lebensquelle des Instinktes aber fließt auch alles Schöpferische, sodass das Unbewusste nicht nur historische Bedingtheit ist, sondern zugleich den schöpferischen Impuls hervorbringt."(Jung, GW, Bd. 8, § 339) Jung übersieht aber - bei aller Kritik an der Einseitigkeit der psychoanalytischen Auffassung - die Bedeutung der Sexualität nicht: "Es ist zweifellos richtig, dass die Triebhaftigkeit auf dem Gebiet der Sexualität am allermeisten und eindrücklichsten mit den moralischen Ansichten kollidiert. Der Zusammenstoß von infantiler Triebhaftigkeit und Ethos kann nie vermieden werden. Er ist sogar, wie mir scheint, die conditio sine qua non der psychischen Energie. Zu viel Tier entstellt den Kulturmenschen, zu viel Kultur schafft kranke Tiere." (Jung, GW 7, § 32)

In seinen späteren Schriften wendet sich Jung dann aber zunehmend religiös-transzendenten, symbol- und geistpsychologischen Fragen zu, und er erweitert die Sexual-Psychologie Freuds um symbolisch-geistige Aspekte der Sexualität deren eigentlicher, innerer Kern das Mysterium coniunctionis sei (> Coniunctio/Mysterium Coniunctionis). "Es ist ein weitverbreiteter Irrtum zu meinen, ich sähe den Wert der Sexualität nicht. Im Gegenteil, sie spielt in meiner Psychologie eine große Rolle, nämlich als wesentlicher - wenn auch nicht einziger - Ausdruck der psychischen Ganzheit." (Jung, Jaffé, 1962, S. 172) 

Gelegentlich wird derAnalytischen Psychologie vorgeworfen, die Betonung der symbolischen Betrachtungsweise der Sexualität sei eine Abwehr und werde dem realen Menschen und der Psyche nicht gerecht. A. Guggenbühl-Craig (1990) sieht eine solche symbolisierende Tendenz als möglichen Schattenaspekt (> Schatten, therapeutischer) des analytischen Psychotherapeuten, als Gefahr, den transzendenten Aspekt aus Angst vor den destruktiven Kräften der Sexualität überzubetonen, sich somit Beziehungsmöglichkeiten zu nehmen und damit die Chance, prospektiven wie destruktiven Tendenzen in sich und dem Patienten auf die Spur zu kommen. Die Sexualität sei als unabhängige Kraft anzuerkennen, ohne sie in irgendeiner Form integrieren zu wollen. In den letzten zweitausend Jahren sei immer wieder versucht worden, Sexualität zu bändigen, zu domestizieren und in den Dienst von einem mit ihm gekoppelten biologischen (der Fortpflanzung) oder psychologischen Phänomen zu stellen. Die widerspenstige Dämonie des Sexuellen lasse sich aber zu keiner Zeit und an keinem Ort ganz sozialisieren, domestizieren, harmonisieren oder symbolisieren. Für ein patriarchales Bewusstsein (> Bewusstsein, patriarchales) könne das kränkend sein, für eine ausgeglichene Haltung des Ich gegenüber dem > Selbst weniger.

Literatur: Bachmann, Ch. (1994): Religion und Sexualität; Blomeyer, R. (1991): Sexualität und Aggression in Konzepten der Analytischen Psychologie; Frey-Rohn, L. (1969): Von Freud zu Jung; Guggenbühl-Craig, A. (1990]]): Anarchistische Sexualität.

Autor: A. Kuptz-Klimpel