Tiefenpsychologische Theorie: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Tiefenpsychologische Theorie

Links: > Archetyp > Analytische Psychologie > Heilung > Individuation > Individuationsprozess > Neurose > Prozess, dialektischer

Definition: Die Forschungen und Entdeckungen S. Freuds und sein Nachweis des Unbewussten durch freies Assoziieren (> Assoziation, freie) und Analyse der Träume stellen einen Paradigmenwechsel erster Ordnung innerhalb der empirischen Psychologie dar: die Ablösung der Bewusstseinspsychologie durch die Tiefenpsychologie. Freud entdeckt das persönliche Unbewusste, C. G. Jung tut den zweiten Schritt mit der Überzeugung, dass das, was für Freud bedeutungslose archaische Reste in Träumen und sonstigen Gestaltungen des Unbewussten sind, bedeutungsvoll und sinnhaft seien und dass von ihnen auf ein kollektives Unbewusstes (> Unbewusstes, kollektives) der Menschheit geschlossen werden könne. Im Mythenvergleich (> Mythos) kommt er zu der Überzeugung, dass sich die kaum überblickbare Vielfalt von Figuren und Geschehnissen auf einige wenige Grundmuster von Bedeutung zurückführen lasse. Diese Bedeutungsmuster nennt er > Archetypen. Da Jung in der Terminologie nicht sehr präzis war, bezeichnet er zunächst sowohl die vielfältigen Bilder als auch die Strukturen selber als Archetypen. Als er nicht mehr ausschließlich mit der freien Assoziation (> Assoziation, freie), sondern mithilfe der > Amplifikation den > Individuationsprozess begleitet und beobachtet, entdeckt er auch da ein - bei aller individuellen Variationsbreite - immer gleich bleibendes Muster. Schließlich kommt er zur Überzeugung, dass der gesamte psychische Prozess von einem zentralen und anordnenden Archetyp, dem Selbst, ausgeht.

Information:Die Aussagekraft der daraus resultierenden, Modelle der > Analytischen Psychologie wird noch dadurch vertieft, dass man den Informationsfluss innerhalb der Psyche und zwischen Psyche und Außenwelt nach dem, in der modernen Biologie üblichen, systemisch- kybernetischen Modell darstellt (> Selbstregulation > Systemtheorie). Die Modellvorstellungen der Analytischen Psychologie sind bis heute in der Tiefenpsychologie nicht überholt worden. Im Gegenteil: In den seither verflossenen Jahrzehnten sind sie von einer Anzahl positivistischer Disziplinen bestätigt: von der Verhaltensforschung, insbesondere der Humanethologie, von der Linguistik (z.B. Noam Chomsky), von der Kognitions- und Emotionsforschung sowie von der Neurobiologie. Hervorzuheben ist dabei, dass Jungs (durch tiefenpsychologische Empirie erarbeiteten) Begriff des Selbst, der teilweise auch spekulativ bis ins Kosmische erweitert und mythisiert worden ist, auch von den Neurowissenschaften unterstützt wird.

Die heutige Theorie der > Analytischen Psychologie kann wie folgt zusammengefasst werden: Das Unbewusste ist artspezifisch bzw. "kollektiv", das heißt, es ist zumindest in seiner Grundstruktur im Genom bzw. in der befruchteten Eizelle codiert. Ebenso wie die unbewussten kognitiven Systeme aller Lebewesen ist es zentriert, d. h. zu Informationsverarbeitung und -bewertung fähig. Es ist spontanaktiv, besitzt phylogenetisch erworbenes Wissen (> Evolutionäre Psychologie) und kann dieses durch individuelles Lernen modifizieren. Die Psyche kann als selbstregulierendes System (> Selbstregulation) verstanden werden, wobei die zentrale Regulationsinstanz - das Selbst - weitgehend unbewusst ist. Das > [[Ich-Bewusstsein erweist sich bei dieser Sicht als Subzentrum (> Filialisierung des Ich). Das Bewusstsein geht im Verlauf der Ontogenese aus dem Unbewussten hervor (> Bewusstseinsentwicklung > Bewusstseins-Evolution). Das Programm für die Entwicklung des Bewusstseins ist im Unbewussten - im Selbst - angelegt (> Automorphismus > Zentroversion). Dieses regt dessen Umsetzung - im > [[Individuationsprozess - an. Das Selbst hat auch sprach-schöpferische Fähigkeit, da es Symbole bildet, welche das Ich-Bewusstsein in ganz besonderer Weise befruchten, von diesem jedoch meistens erst nach längerer Bearbeitung assimiliert werden können. Das Unbewusste enthält aber auch Inhalte, die nicht bewusstseinsfähig sind (> Unbewusstes, psychoides): die phylogenetisch erworbenen, kognitiven und motorischen patterns, die Sollwerte und Programme für die physiologischen Prozesse usw.

Literatur: Frey-Rohn, L. (1969): Von Freud zu Jung; Obrist, W. (1990]]): Archetypen. Natur- und Kulturwissenschaften bestätigen C. G. Jung; Pongratz, L. (1983): Hauptströmungen der Tiefenpsychologie.

Autor: W. Obrist