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Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Feminismus
Links: > Anima/Animus: Klassische Auffassung > Anima/Animus: Kritik und Weiterentwicklung des Konzepts > Bewusstsein, matriarchales > Bewusstsein, patriarchales > Bewusstsein, schöpferisches > Beziehung > Geschlecht > Geschlecht und Psyche > Männliches und Weibliches Prinzip > Matriarchat > Mutterarchetyp > Spiritualität, weibliche > Weise, Alte
Definition: Feminismus ist eine Philosophie und politische Praxis, die im Zusammenhang mit der zweiten Frauenbewegung seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Feminismus ist heute eine weltweite Befreiungsbewegung. Sind die Ziele der ersten Frauenbewegung vor allem das Erkämpfen von gleichen Rechten für Frauen (Wahlrechte, Recht auf Arbeit und Berufsausbildung, Zugang zum Studium), so steht im Mittelpunkt der heutigen Kritik das Geschlechterverhältnis, das Frauen in allen Lebensbereichen (Wirtschaft, Politik, Kultur, Religion, Wissenschaft) benachteiligt.
Information: Es geht um das Aufdecken, Erkennen und Verändern von Entfremdung und Herrschaftsverhältnissen (> Bewusstsein, patriarchales > Patriarchat). Feminismus fordert einen weltweiten Bewusstseinswandel. Es geht vor allem darum, die ins kollektive Unbewusste (> Unbewusstes, kollektives) abgesunkene kulturhistorische Bedeutung des Weiblichen wieder ins kollektive Bewusstsein zu heben, z. B. durch: die Erforschung der Wurzeln der weiblichen Heilkunst, die Wiederentdeckung weiblicher Gottheiten (> Gottesbild, vgl. Whitmont, 1982) und ihrer Bedeutung für > Spiritualität (> Spiritualität, weibliche) und > Identität, Untersuchungen der Hexenverfolgung und ihrer Auswirkungen auf das kollektive Bewusste und Unbewusste. Ein wichtiger Ausgangspunkt für das feministische Erkenntnisparadigma ist die Analyse von S. de Beauvoir in „Das andere Geschlecht“ gewesen (vgl. Beauvoir, 1968). Sie beschreibt darin die Festlegung der Frau auf das sog. Andere, gegen das der Mann sich abgrenzt. Es entsteht daraus in der Folge die Diskussion um den Anthrozentrismus, die männlich-einseitigen Sichtweisen von Wirklichkeit, um männliche Wissenschaft und Theorien auch in der Psychologie (vgl. > Anima/Animus: Kritik und Weiterentwicklung des Konzepts). In “Feminismus – Inspektion der Herrenkultur“ definiert L. Pusch: „Der Feminismus ist eine Theorie, die alle Bereiche des Menschlichen betrifft und den patriarchalen Gehalt aller kulturellen Hervorbringungen des Mannes (der sich traditionell als Mensch schlechthin definiert) bloß legt und kritisiert.“ (Pusch, 1983, S. 14) C. Halkes, eine Vertreterin der Feministischen Theologie, versteht Feminismus als eine Suche nach den eigenen Wurzeln. Entsprechend werden matriarchale Symbole und Gesellschaftsordnungen erforscht und untersucht (> Bewusstsein, matriarchales > Matriarchat). In Abhebung von patriarchalen Symbolsystemen werden matriarchale Bilder und Symbole wieder belebt und re-aktualisiert (> Spiritualität, weibliche). Bezogen auf die gegenwärtigen Lebensverhältnisse geht es um Kritik und Dekonstruktion aller strukturellen Herrschaftsverhältnisse sowie um die Entwicklung von alternativen Modellen für das Zusammenleben der Geschlechter. Es geht um Partnerschaft in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen.
Feminismus umfasst heute ein breites Meinungsspektrum und eine Vielfalt verschiedener theoretischer Ansätze, z. B. Gleichheits- und Differenztheoreme. Die Genderproblematik (gender engl.: Geschlecht als soziale Kategorie) ist als wichtiger Veränderungsansatz für alle gesellschaftlichen Bereiche in den sog. gender-mainstreaming-Ansätzen politisch anerkannt. Im Bereich der Psychologie geht es darum, die ‚Psychologie der Frau‘ von der Frau aus zu entwickeln, die Frau als eigenständiges Subjekt mit spezifischen Formen des Denkens und Erlebens und die spezifischen Lebensbedingungen von Frauen weltweit in den Mittelpunkt zu stellen. So entstanden eigene Ansätze im Bereich der > Diagnostik, der feministischen Therapie, der Frauengesundheitsbildung, Forschungen zu weiblichen Beziehungsmustern, zur Bedeutung der Frau für die Frau und Untersuchungen zur Mutter- und Vaterrolle für die frühkindliche Entwicklung. Feminismus als ein transformatorischer Prozess ändert das Bewusstsein von Frauen und Männern. Feminismus intendiert in seinen, in die Zukunft gerichteten, Visionen grundlegend andere Werte für beide Geschlechter: Achtung und Anerkennung von Menschen unabhängig von Geschlecht, Rasse, Religion und Kultur, Biophilie, Fürsorglichkeit und Liebe zum Leben in all seinen Erscheinungsformen, Teilung von Macht und Verantwortlichkeiten in Familie und Gesellschaft, Abbau von hierarchischen Strukturen, männlichen Herrschaftsformen und Machtmissbrauch, eine andere Beziehungskultur der Geschlechter. Hierzu können auch revidierte, neuere Konzepte der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) (> Anima/Animus: Klassische Auffassung > Anima/Animus: Kritik und Weiterentwicklung des Konzepts > Individuation) beitragen.
Literatur: Dorst, B. (1986): Frauenbewegung als Therapie – feministische Therapie als Frauenbewegung; Dorst, B. (1997): Wiederkehr der Göttin und Abschied vom Vatergott; Halkes, C. (1985): Suchen, was verloren ging; Lerner, G. (1993): Die Entstehung des feministischen Bewusstseins; Pusch, L. (1983): Inspektion der Herrenkultur; Whitmont, E. C. (1989): Die Rückkehr der Göttin.
Autor: B. Dorst