Selbstobjekt
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Definition: Der Begriff des Selbstobjekts ist von H. Kohut in die Psychoanalyse eingeführt worden. (vgl. Kohut 1974, 1979, 1987). Mit diesem paradoxen Begriff (> Paradoxie) wird zunächst die mütterliche Pflegeperson des Säuglings und Kleinkinds bezeichnet, insofern sie in dessen Erfahrung Selbst und Objekt zugleich darstellt. E. Neumann hat schon früher formuliert: "die Mutter repräsentiert für das Kind gleichzeitig Du-Welt und Selbst." (vgl. Neumann, 1963, S. 15) Es wird angenommen, dass das frühkindliche Selbst zunächst mit der mütterlichen Welt eng verbunden ist. Ohne Bezugspersonen, die > Spiegel und > Resonanz der eigenen Existenz darstellen, ist Entwicklung des Säuglings zur relativen > Autonomie des Erwachsenenalters nicht möglich (> Bewusstseinsentwicklung > Entwicklungspsychologie > Urbeziehung).
Information: Selbst im reiferen Alter sind Menschen angewiesen auf andere Menschen, die auf sie reagieren, sie anerkennen, infrage stellen, auf Menschen, die zur Aufrechterhaltung des Selbstgefühls Entscheidendes bedeuten (> Resonanz). Nach Kohut bedürfen Menschen während ihres ganzen Lebens des Eingebettetseins in der "Matrix von reifen Selbstobjektbeziehungen", vergleichbar dem Sauerstoff, den unser biologisches Überleben benötigt. Es gilt zu unterscheiden zwischen dem, was in der Psychoanalyse > Objekt genannt wird und dem Selbstobjekt in der > Selbstpsychologie. Jeder andere Mensch, jedes menschliche Gegenüber wird von der Psychoanalyse in Ermangelung eines besseren Ausdrucks mit Objekt bezeichnet. Derselbe Mensch kann aber zum Selbstobjekt werden, sobald er für das eigene Erleben etwas Wesentliches bedeutet, wenn er also zur Aufrechterhaltung des seelischen Gleichgewichts beiträgt. Entscheidend ist also, wie ein anderer Mensch subjektiv erlebt wird. Ein Selbstobjekt hat, wenn im Sinne der Analytischen Psychologie aufgefasst, stets subjektstufige Bedeutung (> Subjektstufe). Das Selbstobjekt ist letztlich eine Funktion, die im Dienste unseres seelischen Gleichgewichts, der Kohärenz des Selbst wirksam wird. Menschen sind für ihr seelisches Gleichgewicht auf die Erfahrung angewiesen, dass ihr Dasein auch für andere Menschen von Wert und Bedeutung ist. Ohne eine solche Belebung oder Beseelung, d. h. ohne empathische Resonanz vonseiten ihrer Selbstobjekte fallen sie ins Leere.
Kohut geht außerdem von Prozessen der Reifung im Selbstobjekt-Erleben aus. Auf frühkindlicher Stufe besteht es zwar aus archaischem Verschmelzungserleben mit der mütterlichen Welt, kann sich im späteren Leben aber nicht nur auf gegenseitige, das Selbstgefühl fördernde > Liebe oder Freundschaftserfahrungen, sondern auch überpersönliche geistige (> Geist), religiöse (> Religion) oder künstlerische (> Dichtung > Kunst > Musik) Inhalte beziehen. Alles, was uns im Leben > Sinn macht, erfüllt oder anregt kann als Selbstobjekt bezeichnet werden (vgl. Wolf, 1983, S. 313 f.). Damit nähert sich der Begriff des Selbstobjekts dem Konzept des Selbst in der Analytischen Psychologie und seiner Bedeutung im Prozess der > Individuation an.
Literatur: Jacoby, M. (1985): Individuation und Narzissmus; Kohut, H. (1979): Heilung des Selbst.
Autor: M. Jacoby