Anthropozentrismus
Keyword: Anthropozentrismus
Links: > Bewusstsein > Entwicklungspsychologie > Ich/Ich-Bewusstsein > Ich-Psychologie > Kindheit/Kindheitsphasen > Narzissmus
Definition: (griech. anthropos: Mensch und kentron: Mitte) heißt eine Sicht oder Anschauung, die den Menschen in den Mittelpunkt der Welt stellt und in ihm auch ihre Erfüllung sieht.
Information: Anthropozentrisches Denken findet sich in der Entwicklung des kindlichen Denkens und des Ich, sowie auch in verschiedensten Kulturen, religiösen Vorstellungen, in der Philosophie, den Wissenschaften.
Bei E. Neumann taucht der Begriff, wie auch bei J. Piaget, in Zusammenhang mit der Ich- und Bewusstseinsentwicklung (> Bewusstseinsentwicklung: Mythologische Stadien) auf. Neumann hält die Fähigkeit des Menschen, anthropozentrisch zu denken und zu handeln, für einen entscheidenden Anstoß gleichermaßen in seiner Entwicklung, wie für sein schöpferisches, kulturschaffendes Wirken. Das magische Denken und Handeln des Frühmenschen sei, bezogen auf seine Anthropozentrik, geradezu eine effektive Art der „Weltbemächtigung“ gewesen. Anthropozentrik als Glaube, vom eigenen, (magischen) Handeln hänge das Dasein, der Lauf der Welt oder gar der Sonne ab, wie Neumann sie z. B. in Fruchtbarkeitsriten oder dem Heldenmythos u. v. m findet, stellt für ihn in der Bewusstseins- und Ich-Entwicklung eben nicht nur ein „primitives“ magisches Denken und Handeln oder eine Selbstüberschätzung dar, sondern „eine der tiefsten Wahrheiten der Menschheit“. Das Ich bedarf dieser Betonung seiner Bedeutung im Prozess der Ich- und Bewusstseinsentwicklung. Man könnte auch formulieren: Das Ich braucht einen gesunden > Narzissmus, um sich zu entwickeln. Allerdings ist das nicht das Entwicklungsende, sondern die notwendige Voraussetzung für die weitere Entwicklung des Ich-Bewusstseins (> Ich/Ich-Bewusstsein) zum > Selbst hin: Das Ich kann sich auf diesem Wege der Welt außen und innen gegenüber, sowohl analytisch, d. h. zergliedernd und zerlegend, wie auch integrativ, d. h. zusammenfügend und aufbauend verhalten und somit allmählich auch Distanz (nach und außen) und letztlich auch Selbstrelativierung erreichen. Dies wiederum befähigt das Ich dazu, seine vorher notwendige Zentriertheit auf sich selbst wieder aufzugeben und sich von der > Ganzheit des Psychischen, dem Selbst, integrieren zu lassen.
In seiner Auseinandersetzung mit S. Freuds Narzissmus-Begriff und den Konzepten der > Psychoanalyse, besonders auch dem von M. Klein, stellt Neumann den Begriff des Anthropozentrismus dezidiert dem abwertenden, „krankhaften Narzissmus“ (1963, S. 64) gegenüber, auf den er, in der > Psychoanalyse, die narzisstischen Tendenzen des Menschen reduziert sieht. „Die anthropozentrische Haltung ist, im Gegensatz zur narzisstischen, Ausdruck einer geglückten Liebesbeziehung. Gerade auf der Basis der Urbeziehung und ihres über- und zwischen-menschlichen Charakters entwickelt sich die anthropozentrische Sicherheit des Menschen, welche nicht nur ihm selber eine Sinnbeziehung des Lebens ermöglicht, sondern ihn und seine Sinnbezogenheit zugleich in die Menschheit und in die Solidarität mit ihr einfügt.“ (1963, S. 86)
Literatur: Neumann, E. (1949): Ursprungsgeschichte des Bewusstseins; Neumann, E. (1963): Das Kind.
Autor: A. Müller