Psycholyse
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Definition: Psycholyse (griech. lysis: Lösung) oder psycholytische Therapie bezeichnet im europäischen Raum die tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie mit bewusstseinsverändernden Substanzen, vor allem mit Halluzinogenen und Empathogenen (> Bewusstsein > Bewusstseinszustände, veränderte). Im anglo-amerikanischen Bereich spricht man auch von psychedelischer Therapie. Viele Autoren, die sich mit den psychodynamischen Dimensionen befassen, die diese Therapieformen berühren, beziehen sich auf zentrale Konzepte der Analytischen Psychologie: etwa die Erfahrung des > Selbst und der > Ganzheit, der > [[Individuation, der archetypischen, numinosen (> Archetyp > Numinoses) sowie der transpersonalen Erfahrung (> Mystik > Religion > Transpersonale Psychologie).
Information: Der Beginn der Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Psycholyse - dem Einsatz von bewusstseinsverändernden Substanzen in der Behandlung von psychischen Symptomen - kann in den Arbeiten des deutschen Psychiaters K. Beringer um 1920 gesehen werden, der die Wirkungen des Halluzinogens Meskalin unter klassisch psychiatrischen Gesichtspunkten beschreibt. Einerseits führt das zur Entwicklung von stark fokussierenden, bewusstseinsstrukturierenden Substanzen, den Psychopharmaka (> Psychopharmakologie), andererseits zur Erforschung von bewusstseinserweiternden und assoziativ lockernden Substanzen, wie sie in der Psycholyse genutzt wurden.
In den 60er und 70er Jahren des 20. Jh. erreicht die Erforschung der bewusstseinsverändernden Substanzen einen Höhepunkt. Die Arbeit mit diesen Substanzen in der Forschung und Praxis - etwa mit LSD - gerät aber durch den unabhängig davon entstandenen Drogenmissbrauch in den Subkulturen zunehmend unter öffentlichen Druck, sodass die, zum Teil vielversprechenden, interdisziplinären Arbeiten letztlich durch das völlige Verbot der Substanzen zum Erliegen kommen. Gegenwärtig wird die psycholytische Therapie in Europa nicht offiziell praktiziert. Mitte der 80er Jahre des 20. Jh. wird im Rahmen des Europäischen Kollegiums für Bewusstseinsstudien (ECBS) und durch die Schweizer Ärztegesellschaft für psycholytische Therapie (SÄPT) die Auseinandersetzung mit der Psycholyse wieder aufgegriffen. In Deutschland hat sich bis zum Verbot besonders H.C. Leuner mit der Psycholyse beschäftigt, sie in stationärem Rahmen praktisch angewandt und untersucht. Er prägt auch den Begriff der "psycholytischen Therapie". Sein Vorgehen: In dem Kontext einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie werden vereinzelt Sitzungen mit psychoaktiven Substanzen durchgeführt und danach im Kontext der therapeutischen Beziehung nachbearbeitet. Durch die Substanzen wird in einem geeigneten Setting, das durch umfangreiche Forschungen klar zu beschreiben ist, tiefe, ganzheitliche Erfahrung des Selbst möglich, die in ihrer Intensität und sinnstiftenden Potenz therapeutisch nutzbar gemacht werden können. Leuner behandelte überwiegend Patienten mit sehr schwerwiegenden, z. T. chronischen seelische Störungen, die über diese Methode in beeindruckender Weise tiefe, ganzheitliche Erfahrungen machen können. Wenn die Therapeuten eine gute tiefenpsychologische Ausbildung erfahren haben, sind diese Erlebnisse sehr fruchtbar in die Psychotherapie zu integrieren.
C. G. Jung äußert sich 1955 in einem Brief zu den Erfahrungen unter Meskalin: "Ich widmete mich 40 Jahre meines Lebens dem Studium jener psychischen Sphäre, die auch durch die Droge aufgedeckt wird: Der Sphäre numinoser Erfahrung" (vgl. Jung, Briefe 2, S. 457). Er benennt aber zugleich in aller Deutlichkeit das Hauptproblem des Umgangs mit psychoaktiven Substanzen: "Meskalin enthüllt [..] die seelischen Inhalte zu irgendeiner Zeit, wobei die Reife, die ihre Integration erfordert, noch keineswegs gewährleistet ist.“ (vgl. Jung, Briefe 2, S. 455.) Er misstraut der "künstlichen Abkürzung" des mühseligen Wegs der Individuation und Bewusstwerdung und glaubt, dass "eine isolierte, nicht integrierte Erfahrung die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit kaum fördern könne." Jung sieht damit die psycholytischen Methoden immanente Missbrauchsproblematik voraus. Die weitere Erforschung der veränderten Bewussteinszustände im psychotherapeutischen Setting bis heute zeigt, dass für einen sinnvollen therapeutischen Einsatz von psycholytischen Methoden ein klar umschriebener und sicherer therapeutischer Rahmen (> Setting, so wie eine tragfähige therapeutische Beziehung (> Beziehung, therapeutische) unabdingbar ist, wenn eine entwicklungsfördernde > Integration der archetypischen Erfahrungen unter psychoaktiven Substanzen stattfinden soll. In katamnestischen Studien wird für ein gesichertes > Set und > Setting eine therapeutische Effizienz der Psycholyse nachgewiesen. Letztlich hat sich diese Therapieform nicht nur wegen des weitgehenden Verbotes der Arbeit mit den psychoaktiven Substanzen, sondern vor allem wegen der hohen Anforderung an das therapeutische Umfeld und an den Therapeuten, bislang nicht allgemein durchsetzen können.
Literatur: Bolle, R. (1985): Am Ursprung der Sehnsucht - Tiefenpsychologische Aspekte veränderter Wachbewusstseinszustände; Grof, S. (1983): LSD Psychotherapie; Leuner, H. (1981): Halluzinogene-psychische Grenzzustände in Forschung und Psychotherapie; Zoja, L. (1986): Sehnsucht nach Wiedergeburt.
Autor: R. Bolle