Symbolisierung
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Definition: Symbolisierung wird als die allgemeine Fähigkeit der Psyche verstanden, innere Vorgänge und Erlebnisse, Körperempfindungen, Gefühle, Erfahrungen in eine verstehbare und kommunizierbare (non-verbal oder verbal) Form zu übersetzen. Es handelt sich um einen grundlegenden Vorgang in der kognitiven Entwicklung des Menschen, in dem die Symbolisierung im Verlauf der Reifung immer höhere Differenzierungs- und Abstraktionsgrade erreicht und in abstrakten Strukturen (Buchstaben, Grafiken, Formeln, Zahlen) gipfelt. Der ursprünglich komplexe bildhaft-anschauliche und emotionale Hintergrund von Begriffen und Erlebnissen tritt dabei zugunsten einer besseren Kommunizierbarkeit oft bis zur Unkenntlichkeit in den Hintergrund - obwohl er implizit enthalten bleibt.
Information: In C.G.Jungs Werk ist die Fähigkeit der menschlichen Psyche zur Symbolbildung und Symbolisierung von zentraler Bedeutung. Über sein Werk "Wandlungen und Symbole der Libido" kam es zum Bruch mit Freud (1912). Während Freud Symbole eher im Sinne zeichenhafter Verweise auf latente Inhalte libidinöser Regungen verstand, steht für Jung das Symbol gleichsam an der Schwelle und bildet eine Brücke zwischen bewussten Wahrnehmungen oder Vorstellungen und solchen aus dem Bereich des Unbewussten. Verwickeln und verknüpfen sich die bewussten und unbewussten Teile, bekommen die Teile einen Sinn, der sich nicht aus dem Wesen der Einzelteile erschließt (vgl. Müller/Müller, 2003, S.399). Jung spricht vom vereinigenden Symbol. „Ein Symbol umfasst nicht und erklärt nicht, sondern weist über sich selbst hinaus auf einen noch jenseitigen, unerfasslichen, dunkel geahnten Sinn ….“ (Jung, GW Bd.8, § 644). Unter Symbolisierung versteht man einen Vorgang, in dem Fantasien, Vorstellungen (psychische Inhalte) auf ein Ich treffen, das sich von diesen anregen und affizieren lässt, das sich emotional und rational mit ihnen auseinandersetzt, so dass sich die psychischen Inhalte in ihrer Bedeutung verändern und Symbolcharakter bekommen. Symbolisierung ist demzufolge ein dynamischer Prozess, in welchem es zur Transformation der Libido kommt und die mentalen Inhalte der Libido eine neue Richtung geben. In der Vorstellung der Analytischen Psychologie ereignet sich Symbolbildung weitgehend spontan im Bestreben der Psyche, ein energetisches Gefälle zwischen gegensätzlichen Bestrebungen auszugleichen sowie im Sinne der Finalität (Verweis). Doch wovon hängt ab, ob das Ich über die Fähigkeit zur Symbolisierung verfügt, ob auftauchende Symbole vom Bewusstsein als solche aufgenommen, verstanden und zur Weiterentwicklung genutzt werden können? Dazu bedarf es einer bestimmten Haltung des Ichs. „Ob etwas ein Symbol sei oder nicht, hängt zunächst von der Einstellung des betrachtenden Bewusstseins ab, eines Verstandes zum Beispiel, der den gegebenen Tatbestand nicht bloß als solchen, sondern auch als Ausdruck von Unbekanntem ansieht“ (Jung ,GW 6, § 898).
In diesem Zitat klingt bei Jung die Haltung des bewussten Ichs zu sich und den Dingen an, was er als symbolische Einstellung (Jung, 1916, GW 6, § 824) bezeichnet. In heutige Sprache übersetzt, fragt Jung nach dem reflektorischen Bewusstsein und dessen Fähigkeit, die vorgefundene Realität symbolisch zu repräsentieren, über diese und über sich selbst nachzudenken i.S. einer Fähigkeit zu Mentalisierung (Verweis Wörterbuch). D.h. es reicht nicht aus, dass sich das Ich zum symbolischen Verstehen im Sinne eines bewussten Wollens entscheidet, vielmehr braucht es einen „symbolischen Raum“ (Bovensiepen, 2004), einen psychischen Binnenraum oder Übergangsraum (vgl. Winnicott 1979), in dem die psychischen Inhalte gehalten und verwandelt werden können (vgl. Bion 1962). Verwandelt als intrapsychischen Vorgang meint an dieser Stelle die Verwandlung durch oder mit Hilfe der Transzendenten Funktion (Verweis WB).
Beide Begriffe Symbolische Einstellung und Transzendente Funktion (vgl. Schnell, 2008, S.115) hängen eng zusammen und lassen sich nur schwer exakt trennen. Mit letzterer ist nicht nur die Verbindung von Bewusstem und Unbewusstem gemeint, sondern der als archetypisch angenommene Prozess der Verwandlung. „Sie (die transzendente Funktion, Anm.d.Verf.) heißt transzendent, weil sie den Übergang von einer Einstellung in einer andere organisch ermöglicht, das heißt ohne Verlust des Unbewussten“ (1916, GW8, § 145). Die Fähigkeit zur Symbolbildung hatte für Jung eine zentrale klinische Bedeutung. Gleichwohl hat sich Jung und die Analytische Psychologie lange Zeit weniger mit der Frage beschäftigt, wie die transzendente Funktion funktioniert oder wie sie sich entwickelt, sondern wofür sie da ist. Dasselbe gilt für die Fähigkeit zu Symbolisierung.
Aus den Erkenntnissen der Säuglings- und Kleinkindforschung (Stern, Dornes u.a.) und der Intersubjektivitätstheorie wissen wir, dass Trennungsprozesse zwischen Selbst und Objekt nur auf der Basis der frühen Erfahrung eines überwiegend empathischen und resonanten Objektes möglich sind. Wie Fonagy und Dornes (vgl. Dornes, 2000) beschreiben, erkennt das Kind sich im Prozess des resonanten Aufnehmens und Spiegelns im Auge der Mutter als Selbst und nicht als Anderer, gleichzeitig nimmt es die Differenz wahr zum Anderen. In diesem Zwischenraum ereignet sich Trennung von Selbst und Objekt, bilden sich allmählich Übergangsobjekte (vgl. Winnicott, 1979) mit Symbolen, welche „Als-ob“ Funktion haben. Diese inneren Bilder mit ihren Fantasien und Emotionen helfen das abwesende Objekt in der Erinnerung wachzuhalten und allmählich dessen tröstende Funktion zu internalisieren (das Lallen, der Zipfel, der Teddy usw.). Der dynamische Prozess des Aufbaus eines Zwischenraumes und der Symbolbildung ist entscheidend, damit Trennung vom Objekt nicht als überwältigend erlebt wird, so dass das Selbst durch die Internalisierung einer guten haltgebende Beziehung fortschreitend unabhängig wird vom Objekt. Dazu muss das Kind diese jedoch erlebt haben. Hat das Kind jedoch nicht die Erfahrung eines weitgehend zugewandten resonanten Objektes gemacht, werden die eigenen Äußerungen und Handlungen nicht als bedeutsam - häufig sogar als fremd - erlebt. „Wenn Eltern die Entwicklung der eigenständigen Impulse und Wünsche eines Kindes nicht ertragen können, wird die symbolische Bildersprache des Unbewussten anfangen, ihre lebensspendenden Eigenschaften zu verlieren. Stattdessen wird sie gefährlich und destruktiv …“ (Knox, AP 143, S. 30). Es kommt zu Ausstoßung oder Abkapselung unverarbeiteter affektiver Elemente, meist erfolgt die Abkapselung in den eigenen Körper, was den Hintergrund für die unbewusste Symbolsprache körperlicher Symptome darstellt. Symbole, welche auf Grund der Fähigkeit der Seele zur Selbstregulation zwar weiterhin auftauchen in Träumen und machtvollen Fantasien, in Spiel und anderen kreativen Ausdrucksmöglichkeiten werden eher in Form einer symbolischen Gleichsetzung (Hanna Segal) vom Bewusstsein aufgenommen und weitgehend konkretistisch verstanden. Die Entwicklung der Symbolbildung und die damit eng zusammenhängende Entwicklung des Denkens sind entscheidend gehemmt. Gemäß der prospektiv-finalen Tendenz des Unbewussten lagern die noch undenkbaren Gedanken oder Phantasien im Unbewussten. Therapeuten können hoffen, „als Geburtshelfer zu fungieren, um sie zugänglich zu machen.“ (Bovensiepen in AP 177, 3/2014, S. 273).
Erst wenn die unbewussten Inszenierungen, Fantasien und Träume von einem bedeutsamen Anderen – u.a. im Rahmen einer Psychotherapie – empathisch aufgenommen, verstanden und mit den autobiografischen ausgegrenzten im impliziten Gedächtnis gespeicherten Selbstanteilen verbunden werden, kann sich in einem dynamischen Prozess des ständigen Abgleichens, Verbindens und Integrierens die Transzendente Funktion allmählich entwickeln und die gestaute Libido wieder in Fluss kommen. Symbolbildung entsteht im interaktiven Kommunikationsgeschehen, ereignet sich, wenn Komplexmuster übertragen und empathisch aufgenommen werden und sich die Gegensätze durch die latenten Inhalte der Symbolik miteinander verbinden und transzendieren. „Es macht Sinn anzunehmen, dass fruchtbarer Bezug zum Symbol in seiner ‚als-ob‘-Bedeutung seine Wurzeln in der frühkindlichen Fähigkeit hat, relativ ungestört Übergangsobjekte zu schaffen und zu gebrauchen“. (Jacoby, M., 1998, S. 106)
Zusammenfassend: Unter Symbolisierung versteht man einen psychischen Prozess und eine Haltung des Verstehens, in und durch welche Vorgänge und Begriffe über ihren offensichtlich-vordergründigen Bedeutungsgehalt hinaus einen weitergehenden tieferen Sinn i.S. der psychischen Ganzheit (Verweis Selbst im WB) bekommen. Diese Erfahrung im Sinne des Selbst ist an entwicklungspsychologische Bedingungen insbesondere an das Aushalten von Getrenntheit vom Objekt geknüpft. Sie beinhaltet eine psychischen Fähigkeit und Haltung des Menschen, zu sich selbst und der Welt auf symbolischer Ebene in Beziehung und Kontakt zu treten.
Symbole entstehen entwicklungspsychologisch betrachtet im Zwischenraum, haben eine relationale Funktion. Die Fähigkeit zur Symbolbildung entwickelt sich aus der Matrix der frühen Mutter-Kind-Beziehung heraus (vgl. Bovensiepen, 2009, S.270). Symbole sind beteiligt an der Entstehung eines reflektierenden Ichs und einer seelischen Struktur. Im therapeutischen Geschehen sind sie Ausdruck des dialogischen Geschehens nach innen aber auch des interaktiven Feldes von Therapeut und Patient (Übertragungs- Gegenübertragungsgeschehen). Im Prozess der Anfangsdiagnostik geben sie Einblick in die innerpsychische Komplexlandschaft mit ihren Hemmungs- und Entwicklungsthemen auf der intrapsychischen, interpersonellen und archetypisch final-prospektiven Ebene.
Literatur: Bion, W.R. (1962). Lernen durch Erfahrung. Frankfurt a.M. Suhrkamp. Bovensiepen, G. Editorial, AP 157 3/2009. Ders., Der Analytische Prozess als Spiel wechselnder Perspektiven. AP 177, 3/2014 Dornes, M.(2000). Die emotionale Welt des Kindes. Frankfurt a.M. Fischer-Verlag. Jacoby, M. (1998). Grundformen seelischer Austauschprozesse. Jungsche Therapie und neuere Kleinkindforschung. Zürich/ Düsseldorf (Walter Verlag). Jung, C.G. (1971): GW 6, Psychologische Typen. Olten (Walter Verlag). Jung, C. G. (1971): GW 8, Die Dynamik des Unbewussten. Olten (Walter Verlag). Knox, J. Wenn Worte nicht bedeuten, was sie sagen, in AP 157, 3/2009. Knox, J. Sex, Scham und die transzendente Funktion: Die Funktion der Fantasie in der Entwicklung des Selbst. AP 143 1/2006. Schnell, Monika, Bildersturm, AP 152 2/2008. Segal, Hanna (1996), Traum, Phantasie und Kunst. Stuttgart. Klett-Cotta. Winnicott, D. W. (1979): Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart. Klett-Cotta.
Autor: E. Schoerry-Volk