Hinduismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Hinduismus

Links: > Metaphysik > Philosophie, östliche > Religion > Selbst

Definition: Hinduismus (Hindu: Inder) ist eine Sammelbezeichnung für mythologische, religiöse und mystische Anschauungen, Gedanken, Vorstellungen, Traditionen und Praktiken, die in den unterschiedlichen Religionen des indischen Subkontinents zu finden sind. Das Wissen und die Offenbarungen des Hinduismus sind in den vier Sammlungen der Veden (sanskrit: Wissen) erfasst, an deren Ende die Vedanta (sanskrit: Ende der Veda), auch die Upanischaden genannt, steht. Das der Offenbarung nachfolgende, von Dichtern und Heiligen überlieferte, Wissen ist in einer Vielzahl von Gesetzestexten, Epen, Mythologien, etwa der Ramayana, der Bhagavadgita und der Tantras (> Tantrismus) aufgeschrieben. Der Hinduismus kann nach unterschiedlichen Kulten, Praktiken und Göttern eingeteilt werden. Die Vielfalt der vorkommenden Götter scheint auf eine polytheistische Religion (> Polytheismus) hinzudeuten, aber gleichzeitig können alle Göttergestalten als Erscheinung eines letzten großen, zu verehrenden göttlichen Wesens (> Monismus > Monotheismus) aufgefasst werden.

Information: Eine entscheidende Rolle spielen im Hinduismus aber auch die Heiligen und Seher, um die herum sich jeweils individuelle und aktuelle Formen des Hinduismus bilden. Sie stellen eine schöpferische Kraft dar, in der Religion und Alltag, kollektives Unbewusstes und kollektives Bewusstsein verbunden, aktualisiert und transformiert werden. Ramana Maharshi, Mahatma Gandhi und Sri Aurobindo können im 20. Jh. als solche Persönlichkeiten des Hinduismus gesehen werden.

Die große Strömung des Hinduismus fasst die brahmanischen Traditionen zusammen, wobei diese aber in ständiger Wechselwirkung mit lokalen Traditionen steht. Die zentralen Begriffe bzw. Konzepte - die des Atman und Brahman - subsummieren alle unterschiedlichen Strömungen. Atman (sanskrit: Atem, Seele) verkörpert die Einzelseele des Individuums mit ihrem ewigen Kern, oft als das wahre Wesen aller Dinge bezeichnet oder als das einzig Existierende. Brahman (sanskrit: heilige Macht) stellt das ewige, unbegrenzte Sein, das sich selber schafft und durch sich selber existiert, dar. Es ist das absolute (> Wissen, absolutes), schöpferische und erhaltende Weltprinzip, das alles hervorbringt, erhält und wieder in sich zurücknimmt, es ist die Urmaterie und deren Gestaltung in der Evolution.

C. G. Jung hat sich sehr früh mit östlicher > Mythologie, > Religion und > Philosophie (> Philosophie, östliche) beschäftigt und die "Atman-Brahman-Vorstellung" als Parallele und Unterstützung seiner Sicht des > Selbst und der psychischen Vorgänge gesehen. In seiner Autobiografie (vgl. Jung, 1962) berichtet er, schon bevor er habe lesen können, hätten ihn in einem Kinderbuch Darstellungen exotischer Religionen, vor allem der indischen beschäftigt und nicht mehr losgelassen: "Ich hatte dabei das dunkle Gefühl von Verwandtschaft mit meiner 'Uroffenbarung', über die ich nie zu jemandem gesprochen hatte." (Jung, Jaffé, 1962, S. 24) Mit dem Begriff Uroffenbarung bezeichnet er in diesem Zusammenhang seinen Phallus-Traum (Jung, Jaffé, 1962, S. 18f) und die damit verbundene Erkenntnis, dass in ihm eine "überlegene Einsicht" wirksam ist. Den Traum bezeichnet er als "eine Art Initiation in das Reich des Dunkeln. Damals hat mein geistiges Leben seinen unbewussten Anfang genommen. "

1912 in „Symbole der Wandlung“ (vgl. Jung, GW 5) amplifiziert Jung die Wandlung der Libido, das Verständnis der > Regression als > Introversion der Libido und die psychologische Bedeutung des Inzestmotivs und des Opfers vielfältig mit Zitaten und Bildern aus indischen Schriften, u. a. der Bhagavadgita. 1921, in “Psychologische Typen“, (vgl. Jung, GW 6) erweist sich die Nähe der Vorstellungen Jungs von der Persönlichkeit, dem Unbewussten und vom Selbst mit den östlichen Vorstellungen deutlich. Er versteht die "Brahman-Atman-Lehre" so wie auch das Lao-Tses Tao (> Taoismus) als Ausdruck eines archetypischen Bildes der Befreiung von oder der Aufhebung der Gegensatznatur von > Subjekt und > Objekt, die aus dem Ich-Gefühl (> Ich/Ich-Bewusstsein) resultiert. Diese Aufhebung der Gegensätze erfolge durch die völlige > Introversion der Libido (> Regression), im Hinduismus auch Tapas bzw. Selbstbebrütung (> Trauminkubation) genannt. (vgl. GW 6, § 178 f) Die Introversion der Libido weg vom Objekt, hin zum eigenen Selbst führe zum Erleben der > [[Identität99 von Innen und Außen, einer Erfahrung, die in der indischen Philosophie als tat twam asi (das bist du) bezeichnet wird. Durch diese Identität von Subjekt und Objekt entstehe die Verschmelzung des Selbst als Atman mit dem Selbst als Brahman, dem Wesen der Welt. Aus diesem Brahman geht das Atman hervor und es kehrt in dieses Brahman zurück, um gewandelt wieder geboren zu werden. Das Atman versteht Jung als das individuelle Selbst, das Brahman in sich enthält und das auch verborgen in jeder Kreatur und zugleich in Brahman enthalten ist. (vgl. Jung, GW 6, § 342)

Die ganzheitliche (> Ganzheit), paradoxe (> Paradoxon/Paradoxie/Paradoxität) Selbst-Vorstellung: kleiner als klein und größer als groß, seiend und nicht-seiend, gestaltet und ungestaltet, sterblich und unsterblich, Jung und Alt etc. findet Jung abgebildet in der Vorstellung des individuellen Atman-Selbst, das zugleich vom ewigen Brahman-Gott-Wesen geschaffen, in ihm enthalten und von ihm umfasst ist. (vgl. Jung, GW 6, § 348) Dem Atman-Selbst - als dem individuellen Selbst - gegenüber ist Brahman - als das Hervorbringende, das Hervorgebrachte, und das immer wieder Werdende - der dem Göttlichen oder Überpersönlichen und Ewigen näher stehende Aspekt des Selbst.

In Jungs späteren Arbeiten, in denen die Grundgedanken der hinduistischen und allgemein der östlichen Philosophien vorkommen, spiegeln diese sich dann vor allem im Gegensatz von hell und dunkel, Gut und Böse, der im Christentum dualistisch (> Dualismus) aufgefasst wird, im Hinduismus monistisch. Die Erörterung des hellen und dunklen Gottesaspektes (> Gottesbild > Schatten) und die Frage des Gewissens (> Überich > Stimme, innere), der > Moral und > Ethik spiegeln die monistische Auffassung der östlichen Religionen und Philosophien, ebenso die Synchronizitätsauffassung (> Synchronizität) wider.

Wie gegenüber allen Religionen, philosophischen Systemen, mystischen Erfahrungen und Erkenntnissen, mit denen sich Jung im Laufe seines Lebens beschäftigt, bewegt er sich auch gegenüber dem Hinduismus einerseits fasziniert, inspiriert, lässt sich anregen, andererseits mit Distanz. Er befindet sich mit ihnen im Dialog, grenzt sich auch ab, sucht immer seinen eigenen Weg, ausgehend von seiner eigenen Persönlichkeit, von seinen eigenen Wurzeln und aus seinem eigenen Innern, damit natürlich auch aus seinem eigenen Verstehen und Urteilen heraus.

Literatur: Clarke, J. J. (1999): C. G. Jung und der östliche Weg; Wegener-Stratmann, M. (1990): C. G. Jung und die östliche Weisheit.

Autor: A. Müller