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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Hirnforschung
Links: > Bewusstsein > Bewusstseinsforschung > Erinnern > Evolutionäre Psychologie > Gehirn > Kognitive Psychologie > Komplex > Konstruktivismus
Definition: Gegenstand der Hirnforschung ist das wissenschaftliche Ergründen, Untersuchen und Streben nach neuen Erkenntnissen von Funktion und Struktur des Gehirns (> Gehirn) sowie der dazu erforderlichen Methoden. Ausgangsfrage ist die Hypothese, dass das Gehirn organisches Korrelat des Psychischen ist. Die Beziehung von Psyche und Gehirn kann zumindest materialistisch (Psyche als kausal abhängiges Produkt zentralnervöser Vorgänge), parallelistisch (psychische Vorgänge entsprechen zentralnervösen Vorgängen bzw. bilden diese ab) und systemisch (psychische Vorgänge und zentralnervöse Vorgänge als deren Möglichkeitsbedingung wirken wechselseitig aufeinander) oder als Überformung (psychische Vorgänge überformen zentralnervöse Vorgänge als ihre notwendige fundierende Struktur in transdimensionaler Entsprechung) verstanden werden.
Information: Bei Jung herrscht das Verständnis des psychophysischen Parallelismus bei prinzipieller Eigenständigkeit des Psychischen vor, wobei er das kollektive Unbewusste (> Unbewusstes, kollektives) und die Archetypen (> Archetyp) als vererbte Bereitschaften zum Erleben und Verhalten in der Hirnstruktur postuliert. Obwohl Jung die, der damaligen Zeit entsprechenden, neuroanatomischen und neurophysiologischen Erkenntnisse bekannt waren, hat er keine eigenständigen Heuristiken zu seinen Hypothesen durchgeführt. Die neuere Hirnforschung scheint aber generell die Hypothesen unbewusster Vorgänge (> Unbewusstes) der evolutionär erworbenen Bereitschaftssysteme (> Archetyp), der assoziativen komplexhaften Verbindung von psychischen Inhalten (> Assoziation > Komplex > Teilpersönlichkeiten), der Selbstorganisation, der Funktion der Träume (> Traum) als Ausdruck unbewusster Konfliktlösungsversuche und den konstruktivistischen Ansatz (> Konstruktivismus) der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) zu stützen.
In der kognitiven Psychologie (> Kognitive Psychologie) hat sich beispielsweise die Vorstellung durchgesetzt, dass die psychischen Prozesse aus vielen spezifischen Modulen (lateinisch modulus: Maß, Maßstab; geschlossene Funktionseinheit) bestehen, die man sich wie Module in einem Computer vorstellen kann. Diese Module, manchmal auch als domänenspezifische Funktionen, neuronale Schaltkreise, agents oder gar als demons bezeichnet, funktionieren unbewusst und regulieren unterschiedliche Aufgaben, z. B. die visuelle Wahrnehmung, das Hören, Nahrungspräferenzen, das Erkennen von Gesichtern, den Erwerb der Sprache sowie eine große Zahl emotionaler Bereitschaften, wie Angst, Aggressivität, sexuelles Begehren. Auch das Gedächtnis ist kein einheitliches Phänomen, sondern unterteilt in ein Gedächtnis für erlebte Episoden, ein Gedächtnis für faktisches Wissen, eines für motorische Abläufe und eines für übergreifende Assoziationen zwischen Reizmustern (Markowitsch, 1996). Solche mentalen Module sind nicht bloß abstrakte theoretische Konstrukte, sondern ihnen entsprechen spezifische neuronale Strukturen im Gehirn, die in kooperierenden Zentren organisiert sind. Diese Module lassen sich in eine nahe Beziehung zu den Komplexen (> Komplex) der Analytischen Psychologie sehen.
Literatur: Damasio, A. R. (2000): Ich fühle, also bin ich; Deneke, F. W. (1999): Psychische Struktur und Gehirn: Die Gestaltung subjektiver Wirklichkeiten; Ratey, J. J. (2001): Das menschliche Gehirn; Roth, G. (2001): Fühlen, Denken, Handeln.
Autor: J. Schlimme, H. Emrich