Körperbild /Körper-Ich: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Körperbild/Körper-Ich
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Definition: Das Körperbild/Körper-Ich ist eine sensumotorische Ganzheit, in der der Organismus sich selbst unmittelbar erlebt und wahrnimmt. Es bildet sich infolge zwischenmenschlicher Interaktionserfahrungen heraus, von denen es auch grundlegend geprägt wird (vgl. Jacoby, 1998; Schulz-Klein, 1999; 2000; Sidoli, Blakemore, 2000). Eigene Wahrnehmung geistiger und körperlicher Fähigkeiten und Begrenzungen bildet die Grundlage aller anderen Aspekte der > Persönlichkeit. Das Selbstbild (> Selbstrepräsentanz) ist eine zentrale Komponente persönlicher Identität (Identität, personale). Es ist ein multidimensionales, körperliches, emotionales und kognitives Konstrukt, das sich in verschiedenen Partialselbstbildern manifestiert. Eines davon ist das Körperbild. Das Körperbild bezeichnet die propriozeptive (aus dem eigenen Körper vermittelnde) Wahrnehmung und psychische > Repräsentanz subjektaler Körpererfahrungen (vgl. Schilder, 1935).
Information: Zur Entwicklung und Aufrechterhaltung von Identitäts- und Selbstwertgefühlen (> Identität, personale > Selbstwertgefühl) brauchen Menschen, vom Säugling bis zum Greis, körperliche Stimulierung und Spiegelung (> Spiegeln) von bedeutsamen Anderen. Das Körperbild ist der Niederschlag der sozialen Interaktionen zwischen Kind und primärer Umwelt, einschließlich der libidinösen (> Libido) und narzisstischen (> Narzissmus) Besetzung und Spiegelung seines Körpers durch Eltern und Umwelt. (vgl. Küchenhoff, 1992) Infolge familiär und soziokulturell vermittelter Normen und Wertvorstellungen (> Familie > Gesellschaft > Kollektiv) unterliegen die taktilen, kinästhetischen und optischen Wahrnehmungen des eigenen Körpers (> Körper) unbewusst vollzogenen Zuschreibungen und Deutungen (> Deutung), sodass erhebliche Einstellungsunterschiede oder gar gegensätzliche Wahrnehmungen zwischen dem äußeren körperlichen Aussehen eines Menschen und dessen eigener Auffassung seiner Körpergestalt, -fähigkeiten oder -begrenzungen entstehen. Hypochondrischen und dysmorphophoben Störungen ohne organischen Befund beispielsweise liegen oft schwere Ängste vor körperlicher Erkrankung oder Entstellung zugrunde, Anorexia nervosa und Bulimia die Einbildung, zu dick zu sein. (> Komplexdiagnose) Als Deutungskonstrukte werden verschiedene Teilaspekte unterschieden: neurologische - Körperschema; entwicklungspsychologische - unbewusste/ bewusste Partialkörperbilder; psychosoziale und tiefenpsychologische - Körperselbst, Körper-Ich. Das Körperschema bezeichnet im engeren Sinne die neurophysiologisch bestimmte Abbildung des organischen Körpers auf der Großhirnrinde, die noch keine individuellen Ausformungen enthalten muss (vgl. Head 1920; Joraschky 1983). Dysmelie-Kinder (z. B. Contergangeschädigte) sind im Körperschema beeinträchtigt, können aber bei entsprechend positiver emotionaler Zuwendung und Spiegelung dennoch ein intaktes Körperbild haben.
Das Körper-Ich der Mediziner S. Freud und C. G. Jung ist noch vor allem neurophysiologischen Vorstellungen entlehnt. Zunehmend wird in den modernen Entwickungen aber der Aspekt der psychischen > Repräsentanz (> Imago) betont: Am Anfang "ist ein Leib, und Psyche und Soma sind nicht zu unterscheiden [..] Psyche meint hier die Vor-stellungsbilder, die man sich von Teilen des Leibes, leiblichen Gefühlen und Funktionen macht, also von der physischen Lebendigkeit.“ (vgl. Winnicott 1949, S. 162f) Allen drei Forschern gemeinsam ist die Vorstellung einer leibseelischen Einheit, die das Ichbewusstsein vom Körperselbst (vgl. Neumann, 1949a, 1963) her begründet und prägt. Über die Verinnerlichung von Spiegelbildern in zwischenmenschlichen Begegnungen und Interaktionen mit der physikalischen und der sozialen Umwelt -symbolträchtige Gesten (> Körpersprache > Symbol), Handlungen, Zuschreibungen von > Eltern u. a. - entsteht zunächst unbewusst ein partielles Körperbild, das im Verlauf der biologischen Reifungsprozesse dem Körper seine besondere unverwechselbare Bedeutung gibt. Sie münden in eine ganzheitliche Vorstellung des eigenen Körpers als bewusstes Körperbild. Dieses bewusste Körperbild entsteht zwar als sozial determiniertes Selbstbildnis, ist aber im Wesen ein Produkt der bildhaften Vorstellungskraft der > Imagination. Das Bild des Körpers, das bewusste Körper-Ich im Sinne des Körpers, der Ich bin, überlagert und verdrängt die früher entstandenen, unbewussten, introjizierten Bilder. Dennoch können diese frühen unbewussten Introjekte die bewusste Selbstvorstellung des Körpers immer wieder durchkreuzen und stören - beispielsweise bei körperlicher oder seelischer Krankheit, im Sexualerleben oder bei starken Affektzuständen (> Affekt). Somit besteht zwischen dem bewussten Körperbild, den unbewussten partiellen Introjekten des Körperbildes und dem Körperschema ein Wechselspiel, das weitreichende Folgen für die Psychopathologie und Psychosomatik von Körpererleben und -symptomen haben kann (vgl. Küchenhoff 1992).
Literatur: Heisterkamp, G. (1993): Heilsame Berührungen; Heisterkamp, G. (2002): Basales Verstehen; Mindell, A. (1993): Traumkörper-Arbeit oder der Lauf des Flusses; Schellenbaum, P. (1994): Nimm deine Couch und geh; Ware, R. C. (1984): C. G. Jung und der Körper: Vernachlässigte Möglichkeiten der Therapie?
Autor: R. Ware