Heiler, verwundeter: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Heiler, verwundeter
Links: > Abstinenz > Analyse > Beziehung, therapeutische > Container/Contained > Eros-Prinzip > Eros-Prinzip in der Psychotherapie > Ethik, therapeutische > Heilen/Heilung > Psychotherapie, analytische > Schatten, therapeutischer > Übertragung/Gegenübertragung
Definition: Allgemein-archetypologisch wird mit dem Begriff "verwundeter Heiler" die unbewusste Seite jeglicher Heilung, z. B. einer chirurgischen, durch einen Aspekt des Heiler-Schattens, nämlich die verwundete Seite des Heilenden selbst bezeichnet. In der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) wird damit auch die Konstellation des Heilungsarchetyps im analytischen Prozess umschrieben.
Information: Psychotherapeutische Methoden, auch jene, die auf der Analytischen Psychologie beruhen, stehen heute unter dem Druck, ihre Wirksamkeit durch Effizienznachweise zu belegen. Der Archetyp des verwundeten Heilers konfrontiert diese Haltung mit der psychischen Tatsache, dass "der Arzt nur wirkt, wo er selber getroffen ist. <<Nur der Verwundete heilt>>. Wo aber der Arzt einen Persona-Panzer hat, wirkt er nicht" (Jung, Jaffé, 1962, S. 139). Der Persona-Panzer (> Persona) des Psychotherapeuten wächst aus seinem (notwendigen) Heilen- und Wirksam sein wollen. C. J. Groesbeck (1978), A. Guggenbühl-Craig (1978) und M. Jacoby haben den Heilungs-Archetyp in Anlehnung an C. G. Jungs Psychologie der Übertragung als Quaternio (> Quaternität /Quaternio) formalisiert:
In der > Beziehungsquaternio verbindet Linie 1 Patient und Therapeut auf der bewussten Ebene, auf der z. B. Wirksamkeitsnachweise, vertragliche Vereinbarungen, soziale Erwartungen eine Rolle spielen. Das eigene Heiler sein ist dem Patienten unbewusst (Linie 3), er projiziert dementsprechende Überzeugungen mittels der therapeutischen Übertragung auf den Therapeut (Linie 5). Der Therapeut hat in seiner bewussten, persona-beschützten Einstellung keinen Kontakt zur eigenen, unbewussten Verwundung (Linie 2). Die archetypische Gegenübertragung des Therapeuten besteht darin, dementsprechende Fantasien auf den Patienten zu projizieren (Linie 4). Beiden gemeinsam ist ein gemeinsames unbewusstes Wissen um den Zusammenhang von Heilung als innerer Ressource und Verwundung (Linie 6ss).
Die Bezeichnung "verwundeter Heiler" ist eine paradoxe Formulierung, die darauf verweist, dass üblicherweise eine Spaltung des Heilungsarchetyps vorliegt, die sich in Krankheit und Gesundheit bzw. in der Aufteilung in Heiler- und Geheilten-Rolle manifestiert. Es handelt sich um eine zweifache, kreuzförmige Spaltung des Heilungs-Quaternios (gestrichelte Linien in der Abb.). Die horizontale (intrapsychische) Spaltung bezieht sich auf den meist unzugänglichen unbewussten Anteil des Heilungsarchetyps, der jeweils bipolar ist. Im Unbewussten des Patienten ist nicht nur ein innerer Heiler, sondern auch ein innerer Saboteur (Racker, 1988) enthalten. Die unbewusste Wunde des Heilers ist sowohl die ihm zugefügte, als auch die durch ihn zugefügte. Die vertikale Spaltung ist eine interpersonale: Die Rollen sind zwischen Therapeut und Patient klar verteilt, indem Krankheit und unbewusste Heilungs-Ressource ganz aufseiten des Patienten liegen, während der Therapeut sich seiner Wirksamkeit ebenso bewusst, wie seiner Verwundung unbewusst, ist (vgl. Frick 1996b). Die schamanischen Aspekte (> Schamanismus) sowohl an S. Freuds Persönlichkeit, als auch an ?C. G. Jungs können als schöpferisches Kranksein (vgl. Ellenberger 1985) gedeutet werden. Ähnlich wie bei den Schamanen so- genannter primitiver Kulturen kommt es auch für den wissenschaftlich gebildeten Therapeuten darauf an, dass er auf seiner initiatorischen Reise zwar in die eigene Verwundung eintaucht, dabei jedoch gesunde Persönlichkeitsanteile behält, sodass er nicht im Feuer der archetypischen > Identifikation verbrennt, sondern vielmehr in die Alltagswirklichkeit zurückkehrt. Schwieriger noch als die Anerkenntnis der eigenen unbewussten Wunde und deren partielle Akzeptanz in Selbsterfahrungsprozessen wie > Lehranalyse, > Supervision und > Intervision ist der Kontakt mit dem > Schatten des Therapeuten (> Schatten, therapeutischer). Durch die gegenwärtig stärker ins Bewusstsein rückende Psychotraumatologie mit berechtigten Appellen an die Therapeuten, jegliche Re-Traumatisierung zu vermeiden, ist das alte Wort "Der die Wunde geschlagen hat, wird heilen" anstößiger und noch weniger bewusstseinsfähig geworden. Therapeuten werden mit zwei psychischen Realitäten konfrontiert: 1. Verwundung innerhalb der Analyse ist unvermeidlich. Dies heißt nicht, dass sie mutwillig, missbräuchlich oder fahrlässig herbeigeführt werden darf. Re-Traumatisierung geschieht dort, wo eine Verletzung des Agape-Prinzips (> Eros > Eros-Prinzip in der Psychotherapie > Liebe) der Analyse geschieht, wodurch ein Containment (> Containment) der unvermeidlichen Wunden erschwert oder unmöglich wird. 2. Heilung geschieht durch Verwundung. Dies heißt wiederum nicht, dass auf heilende Intentionalität unter der naiven Annahme verzichtet werden darf; letztlich wirksam seien nicht die Technik und Anstrengung des Therapeuten, sondern seine Fehler und seine "chirurgischen" Interventionen. Nur das In-Einklang-Gehen mit der eigenen Wunde lässt den Therapeuten so handeln, dass er oder sie das Verletzende am therapeutischen Prozess aufgreifen und den archetypischen Schatten des eigenen Heilens ertragen kann, ohne diesen zu agieren.
Abbildungen Schema
Literatur: Dieckmann, H. (Hrsg.) (1980): Übertragung und Gegenübertragung in der Analytischen Psychologie; Frick, E. (1996 b): Durch Verwundung heilen; Guggenbühl-Craig, A. (1978): Macht als Gefahr beim Helfer; Jacoby, M. (1993): Übertragung und Beziehung in der Jungschen Praxis.
Autor: E. Frick