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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Orientierungsfunktionen
Links: > Extraversion > Funktion, inferiore > Introversion > MBTI:Myers-Briggs-Typen-Indikator > Typologie
Definition: In der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) nimmt das Konzept der vier Orientierungsfunktionen: Empfinden, Intuieren, Denken und Fühlen (> Empfinden/Empfindungsfunktion > Intuition/Intuitive Funktion > Denken/Denkfunktion > Fühlen/Fühlfunktion) einen wichtigen Platz ein. In Verbindung mit > Extraversion und > Introversion hat C. G. Jung (vgl. Jung, GW 6) auf diesen psychischen Grundfunktionen seine > Typologie gegründet. Mit den vier Orientierungsfunktionen nimmt Jung vier grundlegende psychische Tätigkeiten an, die er als einen vollständigen Kompass für die Orientierung in der Außen- und Innenwelt auffasst. Jeweils zwei Orientierungsfunktionen liegen polar gegenüber und bilden eine Achse. Empfinden und Intuieren bilden die Wahrnehmungsachse; beide sind Wahrnehmungsfunktionen, die Empfindungsfunktion auf materieller, sinnlicher Ebene, die Intuitionsfunktion auf immaterieller, geistiger Ebene. Da sie rein perzipierend sind und nicht beurteilen, werden sie von Jung als irrational bezeichnet (vgl. Jung, GW 6, § 686). Denken und Fühlen schließen sich zur Urteilsachse zusammen. Beides sind rationale Funktionen (vgl. Jung, GW 6, § 670), da sie bewerten bzw. ein Urteil abgeben, das allerdings bei diesen beiden Funktionen grundsätzlich unterschiedlicher Art ist.
Information: Viele andere Begriffe, wie auch viele > Ich-Funktionen der > Psychoanalyse, lassen sich mit diesen vier Basisfunktionen verbinden, so z. B. die Realitätsfunktion (> Realitätsprüfung), an der die äußere Wahrnehmung, also die Empfindungsfunktion, und die realitätskritische Denkfunktion beteiligt sind.
Jung hat in seinem typologischen System die vier Orientierungsfunktionen mit der Extraversion und der Introversion verbunden und insgesamt acht Typen beschrieben. Dabei wird ein extravertierter bzw. introvertierter Typus mit jeweils einer der vier Funktionen als Hauptfunktion kombiniert (> Typologie). Jung unterscheidet nämlich eine Hauptfunktion - die differenzierteste Funktion -, sodann die beiden, der Hauptfunktion benachbarten, mehr oder weniger differenzierten Nebenfunktionen und schließlich die, der Hauptfunktion gegenüber liegende, inferiore oder "minderwertige" Funktion (> Funktion, inferiore) voneinander. Die inferiore Funktion ist insofern von besonderer Bedeutung, als sie dem Betreffenden zwar die meisten Schwierigkeiten bereitet, zugleich aber auch dem Unbewussten (> Unbewusstes) am nähesten steht, wodurch sich der Kontakt zum Umbewussten sehr häufig gerade über diese Funktion ereignet (Franz, M. -L. v. Hillman, J. 1980)
Durch U. Eschenbach (Eschenbach, 1996) wird eine enge Kopplung aller Orientierungsfunktionen mit extravertierter bzw. introvertierter Einstellung postuliert. Damit impliziert ist eine Abkehr von einer Typenlehre, hin zu einer Funktionenlehre. Die vier Orientierungsfunktionen haben im extravertierten Modus einen deutlich anderen Charakter als im introvertierten. Eine extravertierte Orientierungsfunktionen lenkt den Libidostrom zu den äußeren Objekten (> Objekt), reagiert schnell, ein rascher Objektwechsel ist möglich und sie ist häufig differenzierter (> Differenzierung) ; eine introvertierte Orientierungsfunktionen dagegen lenkt die Libido primär zum Ich und den inneren Objekten, reagiert langsamer, konzentriert sich länger auf ein Objekt und ist meist stärker mit Unbewusstem kontaminiert (vgl. Adam, 2000, S. 25f).
Das Konzept der Orientierungsfunktionen hat große Relevanz für die psychotherapeutische Praxis, beispielsweise für ein vertieftes Verstehen der individuellen Eigenart eines Menschen, seiner Art von Welt- und Selbsterleben, seiner Beziehungs- und Interaktionsmuster und seiner typischen Konflikte. Die Differenzierung der weniger bewussten und geübten Orientierungsfunktionen erweitert sein Erlebens- und Verhaltensspektrum und ermöglicht es oft, dem Leben ganz neue Seiten abzugewinnen. Weiterhin bieten die Orientierungsfunktionen eine neue Dimension des Zugangs zum Traum, da sich das Traum-Ich ebenfalls zu seiner Orientierung der vier Orientierungsfunktionen bedient. Ferner können die Orientierungsfunktionen als wichtige Aspekte der Neurosenlehre (> Neurose) in der Analytischen Psychologie Verwendung finden, beispielsweise in der Zuordnung von Neuroseformen und bevorzugten Orientierungsfunktionen. Auch ermöglichen sie es, Übertragungs- und Gegenübertragungsvorgänge (> Übertragung/Gegenübertragung) unter einer neuen Perspektive zu sehen.
Literatur: Adam, K.-U. (2003): Therapeutisches Arbeiten mit dem Ich; Adam, K.-U. (2000): Therapeutisches Arbeiten mit Träumen; Franz, M. -L. v., Hillman, J. (1980): Zur Typologie C. G. Jungs; Meier, C. A. (1986): Persönlichkeit; Siebenthal, W. v. (1993): Denkmann und Fühlfrau; Siebenthal, W. v. (1995): Empfindungsfrau und Intuitionsmann.
Autor: K. -U. Adam