Ritual/Ritus: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Ritual / Ritus

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Definition: Das Ritual (lat. rituale, ritualis: den religiösen Brauch betreffend) ist eine regelmäßig stattfindende, weitgehend gleich ablaufende (> Wiederholen > Wiederholung/Wiederholungszwang) Handlungsfolge, die meist symbolischen Gehalt besitzt und sich symbolischer Formen (> Mythos > Religion > Symbol) bedient. Mit dem Begriff Ritus werden Teilbereiche eines gesamten Rituals oder einzelne rituelle Handlungen innerhalb eines Rituals bezeichnet.

Information: Symbolisch gestaltete Rituale finden sich meist in feierlichen und religiösen Zusammenhängen. Dort bezeichnet das Ritual die Gesamtheit der festgelegten Bräuche und Zeremonien eines religiösen Kultes in Worten, Gesängen, Gesten und Handlungen. Sie haben die Funktion, auf das > Numinose und das Mysterium (> Mystik > Mystos-Prinzip) einzustimmen und hinzuführen. Aber auch viele alltägliche Gewohnheiten, wie z. B. der Handlungsablauf vom morgendlichen Klingeln des Weckers bis zum Verlassen des Hauses, haben bei vielen Menschen einen deutlich rituellen Charakter. Ritualisierte Verhaltensweisen vermitteln in der > Komplexität und Unvorhersagbarkeit (> Chaos) des Lebens Ordnung und Orientierung, Sicherheit, Geborgenheit und > Sinn. Wenn ein solches alltäglich-vertrautes rituelles Element verändert oder unterbrochen wird, kann es das psychische Gleichgewicht, das auf ein gewisse Regelmäßigkeit, Gleichförmigkeit und Vorhersagbarkeit der Ereignisse angewiesen ist, mehr oder weniger tief greifend stören. Während im Tierreich instinktive rituelle Verhaltensweisen (> Instinkt) offensichtlich sind - z. B. die vielen Balz- und Paarungsrituale - ist sich der moderne, erwachsene Mensch seiner instinktiven Rituale meist gar nicht recht bewusst (> Bewusstsein > Unbewusstes), etwa seiner Begrüßungs- und Beziehungsrituale. Bewusst ist aber den meisten Eltern noch, dass ihre]] > [[Kinder diese Rituale brauchen, etwa beim abendlichen Zubettgehen.

Neben den zahlreichen kleinen alltäglichen Übergängen (Schlafen-Wachen, Häuslichkeit-Öffentlichkeit, Ich-Du etc.) gibt es im Lebensvollzug auch die größeren rituellen Passagen. Die Feste des Jahres, der Eintritt ins Leben, die Aufnahme in eine Gemeinschaft, das Erwachsenwerden (> Adoleszenz > Pubertät), das Verlassen des Elternhauses, die Hochzeit und die Gründung der eigenen Familie, der Übergang zum Alter, der Tod (> Lebenswende). Diese Ereignisse sind auch heute noch rituell eingebettet, auch wenn sich die Formen geändert haben. So sind z. B. im religiösen Raum Konfirmation, Kommunion und Firmung an die Stelle ursprünglicher Initiationsriten getreten. Auch die therapeutische Beziehung (> Beziehung, therapeutische) kann einen gewissen rituellen Charakter entwickeln (> Setting) und so der Öffnung gegenüber unbewussten Aspekten und deren leichterer > Integration dienen. Natürlich können Rituale auch beengende Absicherungsfunktion (> Abwehr) bekommen und die schöpferische Spontanität und Flexibilität des Lebens (> Libido > Kreativität > Schöpferisches) zugunsten der erhöhten Sicherheit und Angstreduktion (> Angst) drastisch beschneiden. Im religiösen Bereich haben sie dann eine der ursprünglichen Intention entgegensetzte Wirkung. Anstatt den Zugang zur individuellen religiösen Erfahrung zu fördern, wird er durch das Ritual verhindert, weil es nicht mehr der psychischen Beschaffenheit des Ausübenden entspricht.

Bei den klassischen religiösen Ritualen lassen sich meist vier Phasen unterscheiden:

1. Die Einstimmungs- und Vorbereitungsphase (Fasten, Reinigung, Verlassen des alltäglichen Lebens etc.);

2. die zum zentralen Inhalt oder Symbol hinführende Prozess- und Aktionsphase (Gebet, Gesang, Meditation etc.);

3. die Steigerung zum Höhepunkt und die Offenbarung des Symbols (die eigentliche heilige Handlung);

4. die Beendigung des Rituals und die > Integration (Gebet, Gesang, Segen, Rückkehr und Integration der Erfahrung in das alltägliche Leben).

Diese Phasenfolge entspricht weitgehend der dynamischen Struktur der von C. G. Jung und E. Neumann beschriebenen mythologischen Helden- und Nachtmeerfahrt (> Held > Heldenmythos > Heros-Prinzip), auch dem Ablauf von Initiationszeremonien bei Geheimgesellschaften und Naturvölkern (Vorbereitung, Tod, Neugeburt, Wiedereingliederung]]), dem Aufbau des klassischen Dramas (Ausgangssituation, Verwicklung-Höhepunkt, Lösung, Ausgestaltung der Lösung]]) und dem schöpferischen Prozess (Vorbereitung, Inkubation, Lösungsfindung, Realisierung) (> Kreativität, Phasen der).

Keine

Literatur: Neumann, E. (1953 a): Kulturentwicklung und Religion; Müller, L., Knoll, D. (1998): Ins Innere der Dinge schauen.

Autor: D. Knoll, L. Müller