Märchen

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Keyword: Märchen

Links: > Archetyp > Literatur > Mythos > Hermeneutik > Lieblingsmärchen > Mundus imaginalis > Symbol

Definition: Die Märchenerzählungen werden in der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) als Ausdruck des kollektiven Unbewussten (> Archetyp > Unbewusstes, kollektives) gesehen: In Mythen (> Mythos) und Märchen"sagt die Seele über sich selbst aus, und die Archetypen offenbaren sich in ihrem natürlichen Zusammenspiel." (Jung, GW9/1 § 400) Auch wenn natürlich die letzte Erzählerin oder der letzte Erzähler ein Märchen individuell prägen, bevor es niedergeschrieben wird, und auch wenn das gleiche Thema in verschiedenen Ländern leicht variiert: es sind im kulturellen Vergleich immer wieder ähnliche symbolische Motive auszumachen. Deshalb werden Märchengeschichten (> Lieblingsmärchen) als das Ergebnis des Zusammenspiels von archetypischen Wirkfaktoren und individuellen Erfahrungen, von Welt und Psyche gesehen, sodass symbolische Prozesse des kollektiven Unbewussten an ihnen studiert werden können.

Information: Die Themen der Mythen und Märchen sind erstaunlich beständig. Da geht es um das Überleben des Bedrohten, um den Aufstieg des Verachteten, um die Balance zwischen Weiblichem und Männlichem, um den Rhythmus von Festhalten und Loslassen. Diese Beständigkeit liegt nach Auffassung der Analytischen Psychologie in ihrer archetypischen Fundierung begründet. Probleme, die in Märchen und Mythen dargestellt sind, ähneln den Problemen, mit denen sich auch heutige Menschen beschäftigen müssen. Deswegen kann man auch die jeweiligen heutigen Probleme im Spiegel des Mythos, mythischer Elemente oder der Märchen sehen. Einerseits bewirkt eine solche Betrachtung die > Hoffnung, dass diese Probleme gelöst werden können, zum anderen werden durch die Bilder der Märchen und Mythen Fantasiebilder in der eigenen Psyche belebt, die dazu führen, dass eigene Vorstellungen zur Bewältigung einer Lebenssituation erlebbar werden. Das Gefühl von Kompetenz und Handlungsfähigkeit kann sich entwickeln. Märchen haben eine typische Struktur, die oft dem > Heldenmythos entspricht: Sie gehen von einem typischen menschlichen Problem aus, das symbolisch dargestellt wird. Der Protagonist oder die Protagonistin macht einen Entwicklungsweg, der wiederum durch verschiedene Probleme und Problemlösungen gekennzeichnet ist, und dieser Entwicklungsweg führt letztlich dazu, dass das eingangs im Märchen geschilderte Problem "überwachsen" wird. Durch diesen Entwicklungsprozess (> Individuationsprozess) sind auch verschiedene neue Seiten an Protagonist oder Protagonistin entwickelt worden. Da sich das Märchen in Symbolen ausdrückt, wird die bildhafte, imaginative Ebene (> Bild > Imagination) in den Menschen angesprochen, damit auch die Ebene der > Fantasie, der Emotionen (> Emotion) und der > Kreativität. Sie sind geeignet, den imaginären Raum, der auch ein intermediärer Raum ist (> Mundus imaginalis), in dem eigene neue Symbolgestaltungen möglich werden, zu beleben. Therapeutisch werden Märchen heute vor allem im Zusammenhang mit Imaginationen und Gestaltungen genützt, zudem werden Träume (> Traum) mit Märchenmotiven, in den größeren symbolischen Prozess des Märchens hineingestellt, dadurch wird wiederum die Imagination und damit das Veränderungspotenzial angeregt. Einfälle des Analytikers oder der Analytikerin in Form eines Märchenmotivs werden als archetypische Gegenübertragung (> Beziehung, therapeutische > Übertragung/Gegenübertragung) verstanden. In der Analytischen Psychologie sind umfassende Studien zur Symbolik und zu symbolischen Prozessen von zahlreichen Autoren und Autorinnen anhand von Märchendeutungen vorgenommen worden. (> Literatur)

Literatur: Beit, H. v. (1952-1957): Symbolik des Märchens; Dieckmann, H. (1978): Gelebte Märchen; Franz, M. -L. v. (1989): Psychologische Märcheninterpretation; Kast, V. (1986): Märchen als Therapie.

Autor: V. Kast