Psychotherapieforschung

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Keyword: Psychotherapieforschung

Links: > Erkenntnistheorie > Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) ]] > Qualitätssicherung in der Psychotherapie > Wirkfaktoren, psychotherapische > Wissenschaftstheorie

Definition: Psychotherapieforschung (> Psychotherapie > Erkenntnistheorie > Wissenschaftstheorie) wird von Psychotherapeuten und Forschern vor dem Hintergrund verschiedener Traditionen gesehen.

Information: Psychotherapeuten verstehen, ausgehend von S. Freuds Junktim von Forschung und Praxis, Theorieentwicklung als Beobachtung der analytischen Situation unter Anwendung analytischer Erkenntnismethoden: Übertragung und Gegenübertragung, Traumdeutung, Psychodynamik usw.). Die Spezifik analytischer Forschungsmethodik beinhaltet, neben der Beobachtung der bewussten (> Bewusstsein) und unbewussten (> Unbewussten) Äußerungen des Patienten, v. a. auch die Einbeziehung der interpersonelle Dynamik. Theoriebildung geht aus von der Einzelfallbeschreibung; die darin gewonnenen Erkenntnisse werden an weiteren Beobachtungen von Patienten überprüft. Der Vorteil dieser Methodik, die Einbeziehung der ganzen > Komplexität des Menschen, wird von Kritikern als Nachteil gesehen, weil Zusammenhangsbeschreibungen wegen der Komplexität beliebig seien, Einzelfallbeschreibungen seien nicht valide (allgemeingültig]]) und reliabel (wiederholbar]).

Die nicht analytisch orientierte, empirische Psychotherapieforschung steht in einer anderen Tradition. In ihr dominieren Vorgehensweisen, die empirisch-statistische Verfahren anwenden, mit denen Zusammenhänge "kontrolliert" untersucht werden. Kriterien wie Repräsentativität, Validität und Reliabilität können am besten in Studien mit Untersuchungs- und Kontrollgruppen garantiert werden. Der Einsatz von standardisierten Instrumenten in quantitativen Erhebungen ist die Methode der Wahl, Studien sollen nicht rückwirkend (retrospektiv), sondern prospektiv angelegt sein. In den letzten Jahren werden darüber hinaus die Randomisation (Zufallsauswahl von Patienten]]) und die Diagnosehomogenität (> Diagnostik) in Untersuchungsgruppen als Anforderung bei der Überprüfung der Wirksamkeit von Therapieverfahren gefordert.

In der empirischen Psychotherapieforschung folgen der Behauptung H. J. Eysencks im Jahr 1952, psychoanalytische bzw. analytische Psychotherapie sei nicht wirksamer als keine oder eine unspezifische Behandlung, unzählige Studien zum Erfolg von Psychotherapie, v. a. verhaltens- und gesprächstherapeutische Verfahren (> Gesprächspsychotherapie > Verhaltenstherapie). Für die > Psychoanalyse wird z. B. seit 1954 die Menninger Langzeit-Psychotherapie-Studie durchgeführt (vgl. Wallerstein, 1986).

Die > Analytische Psychologie hat Wurzeln in beiden Traditionen der Psychotherapieforschung. C. G. Jungs Assoziationsexperimente kann man der empirischen Psychotherapieforschung zuordnen, sie haben jedoch die Entwicklung von Forschung in der Analytischen Psychologie nur wenig beeinflusst. Wie in der Psychoanalyse ist und bleibt die Arbeit an Fallvignetten das vorherrschende Forschungsparadigma. Ein Austausch zwischen niedergelassenen Psychotherapeuten und empirischen Forschern findet kaum statt. Dies ist umso erstaunlicher, als die Einführung der analytischen Psychotherapie als Kassenleistung 1967 maßgeblich von der empirischen Katamnesestudie von A. Dührssen (vgl. Dührssen, 1962) beeinflusst worden ist. Zu Beginn der 90er Jahre aber wird für die Analytische Psychologie das Thema empirische Psychotherapieforschung wieder aktuell, als der Legitimationsdruck, in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Diskussionen zur Kostenbegrenzung im Gesundheitswesen, immer größer wird, die Wirksamkeit des eigenen Therapieverfahrens nachzuweisen. Mit der Studie Effektivität und Kosten-Nutzen-Aspekte ambulanter Jungianischer Psychoanalysen und Psychotherapien (Keller et. al., 1997) wird darauf hin nicht nur belegt, dass Therapien von Therapeuten mit einer Ausbildung in Analytischer Psychologie und Psychotherapie erfolgreich sind, sondern es wird auch ein wichtiger Beitrag zur mehrdimensionalen Betrachtung von Therapieerfolg (Patientensicht, Therapeutensicht, externe Untersucher, Kosten-Nutzen-Aspekte) geleistet.

Aktuell kritisieren praktisch arbeitende Psychotherapeuten am Instrumentarium empirischer Forschung die Symptom- und Verhaltensbezogenheit. Komplexe Prozesse psychotherapeutischer Verläufe könnten damit nicht angemessen abgebildet werden. Tatsächlich aber sind inzwischen Therapieprozesse und verschiedene Aspekte von Beziehungserleben Schwerpunkte der empirischen Forschung geworden. Seit Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wird darüber hinaus ein analysespezifisches Diagnoseinstrument, die > [[Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) entwickelt, mit der Beziehungsmuster, Konfliktgeschehen und Strukturdimensionen diagnostiziert werden können. Die OPD ist ein zentrales Erhebungsinstrument in der prospektiven Praxisstudie „analytische Langzeittherapie“ (Rudolf u. a. 2001), in der, unter Beteiligung von Therapeuten der verschiedenen psychoanalytischen Fachverbände in Berlin, Heidelberg und Zürich, der Verlauf und die Ergebnisse von Psychoanalysen und Psychotherapien verglichen werden. 

Die Entwicklung der Psychotherapieforschung in den letzten Jahren zeichnet sich also durch eine allmähliche, aber langsame Annäherung der beiden gegensätzlichen Paradigmen aus. Ein nächster wichtiger Schritt könnte die empirische Überprüfung der Theorien und Modelle der Analytischen Psychologie sein. Dazu haben U.M. Junghan (vgl. Junghan 2001]]) mit einer Arbeit zum Vergleich von OPD und Konzepten der Analytischen Psychologie, L. Müller (vgl. Müller, 1995b; Müller, 2001) mit einer Systematik archetypischer Faktoren (> Pentaolon-System) sowie A. Kleeberg, S. Schreiber und Th. Schwinger (vgl. Kleeberg u. a., 2000]]) mit einer empirischen Erhebung zu Schattensymbolen (> Schatten > Symbol) bei Patienten und Therapeuten wichtige Beiträge geleistet.

Literatur: Arbeitskreis OPD (1996]]): Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD]]) ; Keller, W., et. al. (1997): Zur Wirksamkeit ambulanter Jungianischer Psychoanalysen und Psychotherapien - eine katamnestische Studie; Leuzinger-Bohleber, M., Stuhr, U. (1997]]): Psychoanalysen im Rückblick.

Autor: R. Dilg