Gesprächspsychotherapie
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Definition: Die Gesprächspsychotherapie ist eine personenzentrierte (klienten-zentrierte) Psychotherapie, die von dem amerikanischen Psychologen Carl R. Rogers (1902-1986) entwickelt worden ist und heute zu den wesentlichen Verfahren der Humanistischen Psychologie (> Humanistische Psychologie) gerechnet wird. Im Gegensatz zum mehr kritisch-pessimistischen Menschenbild der > Psychoanalyse geht Rogers davon aus, dass die menschliche Natur vertrauenswürdig und konstruktiv, schöpferisch, sozial und auf Reife hin ausgerichtet ist. Bereits in den Ausgangsüberlegungen von 1942 ist die Grundidee des Therapieansatzes zu finden: „Das Individuum steht im Mittelpunkt der Betrachtung und nicht das Problem. Das Ziel ist nicht, ein bestimmtes Problem zu lösen, sondern dem Individuum zu helfen, sich zu entwickeln, sodass es mit dem gegenwärtigen Problem und mit späteren Problemen auf besser integrierte Weise fertig wird“ (Rogers, 1942/1973, S. 36).
Information: Die Gesprächspsychotherapie geht von folgenden Grundsätzen aus:
- Jeder Mensch besitzt eine angeborene Tendenz, seine Person, sein Verhalten und Erleben selbstständig, frei und eigenverantwortlich in Richtung auf Wachstum und Selbstaktualisierung zu entwickeln. Er besitzt damit ein inneres Potenzial konstruktiver Kräfte.
- Menschliches Leben vollzieht sich als Prozess der Selbstverwirklichung. Sie geschieht durch die Fähigkeit, im Prozess der Selbsterfahrung Bewusstsein und Selbst-Bewusstsein zu bilden. Dieser Prozess erfordert Offenheit für Erfahrung und Zugang zu dem, was im Moment geschieht. Die organismische Weisheit als Teil der Aktualisierungstendenz befähigt, zwischen Erfahrungen zu unterscheiden, die die Aktualisierung bzw. Selbstaktualisierung begünstigen oder behindern.
- Jeder Mensch lebt in seiner eigenen „subjektiven Welt“. Er ist zugleich unentrinnbar auf die anderen und auf seine Umwelt bezogen. Die Außenwelt ist nur insofern von Belang und real vorhanden, wie sie in seiner Innenwelt repräsentiert (symbolisiert) ist.
- Jeder Mensch besitzt ein großes Bedürfnis nach einer tiefen mitmenschlichen Beziehung (positiver Zuwendung).
- Eine zwischenmenschliche Beziehung wird befriedigend und förderlich erlebt, wenn sie bestimmte Qualitäten enthält: wenn sie frei ist von Macht und jeder die Einzigartigkeit und Eigenart des Gegenübers wahrnimmt und akzeptiert. Dann hat jeder die Möglichkeit, real zugegen zu sein. Sofern der andere versucht, ihn in seiner Subjektivität zu verstehen, verhilft er ihm, er selbst zu werden und zu sein.
Rogers formuliert drei zusammengehörende und sich gegenseitig ergänzende Bedingungen für den Prozess einer wachstumsfördernden Beziehung, die nicht nur für therapeutische, sondern auch für viele anderen zwischenmenschliche Situationen gültig sein sollen: 1. Die Kongruenz oder Echtheit (> Authentizität): Kongruenz bedeutet, dass sich der Therapeut/Berater hinter keiner Maske oder persönlicher Fassade verbirgt, sondern imstande ist, seine Gefühle wahrzunehmen und adäquat zum Ausdruck zu bringen. 2. die > Akzeptanz oder bedingungslose Wertschätzung: Entwicklung oder Änderung sind dann wahrscheinlich, wenn der Therapeut/Berater eine positive, akzeptierende Einstellung zu dem hat, was der Patient im Augenblick ist. Es ist eine, an keine Bedingungen geknüpfte, Wertschätzung dem Patienten gegenüber. Diese Einstellung gibt dem Patienten die Sicherheit, sich dem Gefühl, das ihn im Augenblick erfüllt, überlassen zu können. 3. die > Empathie oder das empathische Verstehen: Der Therapeut/Berater hört dem Patienten genau zu und bemüht sich, ihn aus seiner Sicht und gerade auch vor dem Hintergrund seiner Emotionen (> Emotion) zu verstehen. Dabei werden nicht nur bewusste, sondern auch vorbewusste Inhalte formuliert. (Rogers 1985, 1991)
Diese therapeutischen Grundhaltungen, wie auch das Menschenbild der Gesprächspsychotherapie, haben sehr viel Gemeinsamkeiten mit den Ansätzen der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie). Interessant ist in dem Zusammenhang, dass Rogers und Jung, die ansonsten wenig Notiz voneinander genommen haben, sich auf ähnliche philosophische Hintergründe, wie z. B. den > Taoismus beziehen (vgl. Fittkau, B., Kalliner, H. 1989). Ein wesentlicher Unterschied besteht aber in der Einschätzung der Bedeutung unbewusster Prozesse für die Therapie. Rogers geht zwar auch von der Weisheit des Organismus und der > Selbstregulation aus, aber er scheint Symbolen, Träumen, Imaginationen (> Symbol > Traum > Imagination) und deren Gestaltung wenig Bedeutung beigemessen zu haben. In den Weiterentwicklungen der Gesprächspsychotherapie, etwa bei E.T. Gendlin (1981, 1987) und des, von ihm entwickelten, > Focusing scheint das Unbewusste (> Unbewusstes) aber einen größeren Raum einzunehmen.
Literatur: Rogers, C. R. (1985): Entwicklung der Persönlichkeit; Rogers, C. R. (1991): Eine Theorie der Psychotherapie, der Persönlichkeit und der zwischenmenschlichen Beziehungen.
Autor: L. Müller