Wissen, absolutes
Keyword: Wissen, absolutes
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Definition: Als absolutes Wissen (lat. absolvere: loslösen; lat. absolutus: losgelöst) bezeichnet C. G. Jung in Zusammenhang mit > Synchronizität eine "durch keine Sinnesorgane vermittelte Kenntnis" (vgl. Jung, GW, 8, § 938), die zugleich auch die Existenz eines an sich bestehenden > Sinnes annehmen lässt. In philosophischen (> Monismus > Philosophie) und religiösen (> Religion) Systemen findet Jung ähnliche Annahmen, in mystischen (Mystik]]) und alchemistischen Ideen über eine Weltseele (anima mundi]]), einen Weltgeist (spiritus mundi]]) oder den > Unus mundus, in den Mikro-Makro-Kosmos-Vorstellungen und in der Entsprechungslehre der Astrologie (> Magie > Parapsychologie) tauchen vergleichbare Gedanken auf. Auch anscheinend zielgerichtete Vorgänge in der Natur (> Biologie > Physik > Finalität) oder die kompensatorische Beziehung zwischen Bewusstsein und Unbewusstem (> Kompensation) lassen für Jung zu, auf ein "Vorauswissen irgendwelcher Art" (vgl. Jung, GW 8, § 921) zu schließen, das in keinem Zusammenhang mit dem Wissen des > [[Ich]9 und des > Bewusstseins steht, sondern von diesem losgelöst erscheint, also absolutes und unbewusstes Wissen ist. Für die Entwicklung des Synchronizitätsgedankens im Sinne eines ursachelosen, gleichzeitig sinnvollen Angeordnetseins ist ein solches unbewusstes absolutes Wissen von hoher Bedeutung.
Information: E. Neumann greift Jungs Gedanken in seinen Arbeiten zum Schöpferischen auf und führt den Begriff des extranen Wissens (lat. extra: außerhalb, außerdem, über etwas hinaus; extran: veraltete Bezeichnung für fremd, ausländisch]]) ein für ein außerpersonales und ganzheitliches psychisches Wissen. Er unterscheidet das Wissensfeld des Ichbewusstseins mit seinem ichzentrierten Wissen und der daraus resultierenden Welterfahrung und das nicht dem Ichbewusstsein angeschlossene, also extrane Wissen. So wie das Ich bzw. der > Ich-Komplex ein Ausschnitt aus der gesamten > Psyche ist, so ist es auch das ihm angeschlossene Wissen. In seiner Helligkeit, Klarheit, Struktur, Genauigkeit, Abstraktheit, Rationalität ist das Ich-Bewusstsein ein dem Menschen gegebenes Instrument, das äußerst effektiv zur Weltbewältigung ist, allerdings den Nachteil der Einseitigkeit mit sich bringt. Auf dieser bewussten Wirklichkeitsebene (> Wirklichkeit, psychische) zu sein, schließt es weitgehend aus, auch andere Ebenen zu erfahren und Zugang zu anderem - außerhalb der Ebene des Bewusstseins verfügbaren Wissen zu haben. Die primär erlebte ganzheitliche > Einheitswirklichkeit ist vom Ich-Bewusstsein nicht erfahrbar. Bewusste Wirklichkeitserfahrung wird erst durch die Aufspaltung der > Ganzheit in]] Polaritäten möglich. Dadurch tendiert das Ich-Bewusstsein dazu, das Archetypische (> Archetyp) und Psychische innen und das Physikalische bzw. die Welt außen zu erleben.
Wie schon Jung in seinen Hypothesen zur > Synchronizität, geht auch Neumann davon aus, dass diese Trennung so nur für das Ich-Bewusstsein existiert, nicht aber tatsächlich. Synchronistische, paranormale (> Parapsychologie) wie auch schöpferische (> Schöpferisches), religiöse (> Religion) und mystische Ereignisse und Erlebnisse sind Ausdruck der Transgressivität (Grenzen-Überschreitun) von archetypischer Erfahrung (> Archetyp). Die dem Ich-Bewusstsein vertraute Trennung und Zuordnung eines Ereignisses nach Innen und Außen ist dann nicht mehr existent. Neumann geht deswegen davon aus, dass die archetypische Ebene der Wirklichkeit, das archetypische Feld nicht in Innen/Psyche und Außen/Physik zu teilen ist, und extran, also auch außerhalb der persönlichen Ich-Erfahrung ist. In veränderten Bewusstseinszuständen (> Abaissement du niveau mental > Bewusstseinszustände, veränderte) können auch solche andere psychische Wirklichkeitsebenen oder -felder (> Feld, psychisches) erfahren werden, aber die Erfahrungen, die dort extran gemacht werden, haben kaum Bestand und Gültigkeit, sobald der ichzentrierte Bewusstseinszustand wieder hergestellt ist. Im Zustand der extranen Erkenntnis wiederum liegt der Nachteil, dass wenig Klarheit, Deutlichkeit, Struktur und Unterscheidung und Rationalität möglich ist.
Neumann entwickelt mit seinen Gedanken zur Beziehung von Bewusstsein und Unbewusstem, von Ich und Selbst und zu unterschiedlichen Bewusstseinszuständen, Wirklichkeitsebenen und psychischen Feldern Jungs Ideen zum > [[Selbst als anordnendem und dirigierenden Faktor und der Synchronizität weiter. Er verbindet die Psychologie wie Jung mit den Naturwissenschaften, mit der Mystik, dem Schöpferischen und anderen vergleichbaren Erfahrungen der Menschen und arbeitet für die Analytische Psychologie in den frühen 50er Jahren das aus, was etwa im > Konstruktivismus des späteren 20. Jahrhunderts und in der modernen Physiologie über das Erkennen, das Bewusstsein und die Psyche erforscht, ausgearbeitet und teilweise experimentell nachgewiesen wird.
Literatur: Neumann, E. (1953 c): Die Psyche und die Wandlung der Wirklichkeitsebenen.
Autor: A. Müller