Ich-Komplex

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Keyword: Ich-Komplex

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Definition: C. G. Jung hat den gesamten Organismus als ein sich selbst regulierendes System (> Selbstregulation) aufgefasst. Das > Bewusstsein stellt sich Jung dabei als ein Feld vor, dessen Zentrum er als Ich /> Ich/Ich-Bewusstsein) oder Ich-Komplex bezeichnet. Unter dem Terminus "Ich" versteht er einen > Komplex von Vorstellungen, der das Zentrum des Bewusstseins ausmacht und sich durch "hohe Kontinuität und Identität mit sich selber" auszeichnet (vgl. Jung, GW 6, § 810). Zu dessen weiterer Charakterisierung schreibt er: "Der Ich-Komplex ist ein Inhalt des Bewusstseins sowohl wie eine Bedingung des Bewusstseins, denn bewusst ist mir ein psychisches Element, insofern es auf den Ich-Komplex bezogen ist." (Jung, GW 6, § 810).

Information: Als Inhalt des Bewusstseins ist im Besonderen folgendes bedeutsam: Man kann unter anderem dieses Ich, also sich selbst, zum Inhalt seines reflektierenden Bewusstseins machen, was als Selbst-Erkenntnis ein spezifisch menschliches Anliegen ist. Einerseits erlebt man sich subjektiv als kontinuierliches Zentrum bewussten Wollens, Handelns und Auffassens. Zugleich hat man potenziell auch die Fähigkeit, sich selbst und seine Aktivitäten objektivierend zu betrachten, zu beurteilen, ein Selbstbild oder eine > Selbstrepräsentanz zu entwickeln.

Der Ich-Komplex als Bedingung des Bewusstseins, d. h. als Bedingung unserer Fähigkeit, ein im Ich zentriertes Bewusstsein zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, überschreitet bei Weitem die Möglichkeiten unseres bewussten Wollens. Das Ich kann sich diese Bedingung nicht selber geben, stößt hier an seine Grenze. Es sind vielmehr Prozesse in der Natur, die in artspezifischer Weise die Bedingungen menschlichen Bewusstseins ermöglichen. Sie machen das Reifungspotenzial aus, das wiederum einer "fördernden Umwelt" (vgl. Winnicott, 1965) bedarf, um Ich-Bewusstsein (> Ich/Ich-Bewusstsein) zu ermöglichen. Die > Selbstregulation unserer Gesamtpersönlichkeit wird weitgehend vom Unbewussten gesteuert, wobei Jung deren hypothetisches Zentrum das > Selbst genannt und vom Ich unterschieden hat. "Ich unterscheide zwischen Ich und Selbst, insofern das Ich nur das Subjekt meines Bewusstseins, das Selbst aber das Subjekt meiner gesamten, also auch der unbewussten Psyche ist." (Jung, GW 6, § 810). Das Selbst ist eine Hypothese. Es lässt sich als solches nicht erkennen oder beweisen, da es die Erkenntnismöglichkeiten des Ich-Bewusstseins transzendiert. Das Ich, als Teilbereich der Gesamtpersönlichkeit, ist zwar die Bedingung unserer Fähigkeit, die Welt und uns selbst zu erleben und zu reflektieren. Der Teil kann aber das Ganze nicht erfassen. Erkenn- oder erfahrbar sind nur Auswirkungen, die dem Ich zustoßen und auf eine übergeordnete, gestaltende und regulierende Kraft - eben das Selbst - schließen lassen. Sie manifestiert sich vornehmlich in Form einer unendlich reichen Symbolik, die sich spontan z. B. in Träumen, aber auch in manchen Formen numinoser Erfahrung (> Numinoses) äußern kann. Hier ergibt sich die Öffnung der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) hin zur religiösen Dimension des Seelischen (> Spiritualität). die > Selbstregulation im Ich-Selbst-System zeigt sich vornehmlich am Phänomen der > Kompensation, das Jung am deutlichsten anhand von Träumen beobachtet hat: "Je einseitiger und je weiter wegführend vom Optimum der Lebensmöglichkeit die bewusste Einstellung ist, desto eher ist die Möglichkeit vorhanden, dass lebhafte Träume von stark kontrastierendem, aber zweckmäßig kompensierendem Inhalt auftreten, als Ausdruck der psychologischen Selbststeuerung des Individuums." (Jung, GW 8, § 488) Die Ausrichtung auf die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten (vgl. Jung, GW 7) ist deshalb ein Hauptanliegen der Analytischen Psychologie und Psychotherapie (> Psychotherapie, analytische).

Literatur: Jacoby, M. (1985): Individuation und Narzissmus; Jacoby, M. (1991): Scham-Angst und Selbstwertgefühl; Kast, V. (1990): Die Dynamik der Symbole.

Autor: M. Jacoby