Bewusstseinszustände, veränderte

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Keyword: Bewusstseinszustände, veränderte

Links: > Abaissement du niveau mental > Bewusstsein > Bewusstseinsforschung > Ekstase > Mystik > Spiritualität > Transpersonale Psychologie > Transpersonale Psychotherapie > Traum > Vision

Definition: Veränderte Bewusstseinszustände sind spezifische Abweichungen seelisch-geistigen Erlebens im Gegensatz zu der, im normalen Wachzustand erfolgenden, Auseinandersetzung mit dem inneren wie äußeren Weltbezug. Die Spannweite kann sich von einfachen Tagträumereien bis hin zu transpersonalen Selbst-Erfahrungen erstrecken. In Abgrenzung zu den Erkrankungen aus dem schizophrenen und epileptoiden Formenkreis sowie hirnorganischen Störungen und Stoffwechselstörungen („aufgezwungene“ veränderte Bewusstseinszustände) geht es hier um die absichtliche Herbeiführung von lebensgestaltenden veränderten Bewusstseinszuständen, die Minuten bis Stunden andauern können.

Information: Die veränderten Bewusstseinszustände reichen im Einzelnen von der Ebene des „Unterwachseins“ (Tiefschlaf, Traumschlaf, Träumereien) bis hin zum „Überwachsein“ (Hellwachheit, Entzückung, Entrückung mit der Möglichkeit des Auftretens von Visionen (> Vision), > Ekstase und Einheitserfahrungen (> Coniunctio/Mysterium Coniunctionis > Einheitswirklichkeit), einem Zustand, in dem alle Grenzen und Polaritäten transzendiert erscheinen, sich das Individualitätsempfinden in ungeteiltem Einssein aufgelöst hat und das Erleben einer höchsten Identität und Integration vorherrscht. Ausgelöst werden veränderte Bewusstseinszustände durch:

a) Pharmakologische Faktoren, z. B. Alkohol, verschiedene Halluzinogene, > Psycholyse.

b) Physiologische Faktoren, z. B. Fasten, Unterkühlung, Erhitzung, Hyperventilation, spezielle Zustände in der Einschlaf- und Aufwachphase, Schlafentzug, Erschöpfung.

c) Psychologische Faktoren, z. B. > Assoziation > Hypnose > Imagination > Focusing Kontemplation, Meditation; Sinnesisolation; Reizüberflutung in Form bestimmter Abläufe von rhythmischen Mustern; unterschiedliche Stimulus-Variabilität und -intensität etwa bei Rock- und Popkonzerten, Fußballveranstaltungen, Massenansammlungen von Pilgern an Wallfahrtsorten.

Zwischen „Unter-“ und „Überwachsein“ befindet sich die Ebene des „Normalwachseins“ als unveränderter Bewusstseinszustand. Zu beiden Richtungen veränderter Bewusstseinszustände bestehen fließende Übergänge: „Jeder emotionale Zustand bewirkt eine Bewusstseinsveränderung, welche P. Janet als „Abbaissement du niveau mental" bezeichnet hat“. Dabei gerate das > Bewusstsein „unter den Einfluss unbewusster, instinktiver Antriebe und Inhalte“, also „Komplexe, die in letzter Linie auf den Archetypen [..] beruhen“ (Jung, GW 8, § 856). Durch das Auftauchen archetypischer Bilder aus dem Unbewussten, während bestimmter Phasen eines Individuationsprozesses (> Individuationsprozess), zeigt sich deren numinöse Qualität (> Numinoses) bzw. emotionale Ladung, die zu einem Zustand außerordentlicher Ergriffenheit, im Sinne eines veränderten Bewusstseinszustandes, führen und eine Erweiterung des Bewusstseins nach sich ziehen kann. Je nach Intensität des veränderten Bewusstseinszustandes zeigen sich Wandlungen im geistig-seelischen Gefüge z. B. im Auftreten halluzinatorischer Phänomene, in einem veränderten Identitätsgefühl und Raum-Zeiterleben mit Verlangsamung oder Beschleunigung der Funktionen bestimmter psychischer Einheiten, einer Verstärkung oder Abschwächung von deren Wirksamkeit, einem zeitweiligen Aussetzen einiger Bereiche, wie auch dem Auftreten, normalerweise nicht verfügbarer, neuer Möglichkeiten. Letztlich entspricht dies einer Verschiebung in Bezug auf die subjektive Bedeutungszumessung im Erlebensbereich, ein u. U. radikal veränderter Modus in der persönlichen Auseinandersetzung mit der physischen, intra- und interpersonellen Welt. Physisch kann es zu endokrinologischen, muskulär-arteriellen, sowie atem- und kreislaufphysiologischen Umstellungen kommen.

Literatur: Grof, S. (1978): Topografie des Unbewussten; Scharfetter, C. (1992): Der spirituelle Weg und seine Gefahren; Tart, C. (1978): Transpersonale Psychologie; Wilber, K. (1990): Das Atman-Projekt.

Autor: C. Bartel