Intersubjektivität
Keyword: Intersubjektivität
Links:> Beziehungsquaternio > Psychoanalyse > Übertragung/Gegenübertragung
Definition: Unter Intersubjektivität (zusammengesetzt aus lat. inter: zwischen und Subjekt). versteht man in der Psychologie die bewussten und unbewussten kommunikativen Prozesse, die in einer Beziehung zwischen mehreren Personen einerseits jeweils einzeln und subjektiv ablaufen und andererseits gleichzeitig auch das gemeinsame psychodynamische Geschehen beeinflussen.
Ausgehend von der Überlegung, dass die bedeutenden Theoriebildungen der Psychoanalyse einen engen Zusammenhang zur Subjektivität ihrer Begründer aufweisen, formulierten George E. Atwood und Robert D. Stolorow ab Ende der 70-er Jahre die Intersubjektivitätstheorie als Metaperspektive der aufeinander aufbauenden und konkurrierenden psychoanalytischen Strömungen. Wichtige weitere Beiträge stammen unter anderem von Jessica Benjamin, Bernard Brandchaft, Stephen A. Mitchell, Thomas Ogden, Donna M. Orange und Daniel Stern. Waren in der Geschichte der klassischen Psychoanalyse die Theorien der Trieb-, Ich-, Selbst- und Objektpsychologie vorrangig auf das Verständnis der intrapsychischen Dynamik ausgerichtet, erweiterten die Autoren die Perspektive um die Bedeutung des intersubjektiven Beziehungsfeldes zwischen Analytiker und Analysand und leiteten damit die „intersubjektive Wende“ der Psychoanalyse ein. Intrapsychische Vorgänge wurden nun in einem affektiven Beziehungskontext betrachtet, was gleichzeitig den Übergang von einer Trieb- zu einer Affektpsychologie bezeichnete. Die therapeutische Beziehung ist demnach nur untrennbar von der intersubjektiven Dimension zu verstehen als ein von beiden Subjekten gestaltetes Feld. Dadurch wird auch die ursprüngliche, naturwissenschaftlich begründete Haltung einer objektivierbaren Situation aufgehoben: „Vielmehr wird Psychoanalyse hier als Wissenschaft vom Intersubjektiven verstanden, die sich auf das Zusammenspiel zwischen den unterschiedlich organisierten Welten des Beobachters und des Beobachteten konzentriert. (…) Die Psychoanalyse ist insofern einzigartig unter den Wissenschaften, als der Beobachter auch gleichzeitig der Beobachtete ist.“ (Jaenicke, 2006, S. 12, zit. n. Atwood und Stolorow, 1983).
Als Konsequenz werden zentrale Konzepte der klassischen Psychoanalyse, wie die > „Abstinenz“, die „Neutralität“, die „Spiegelhaltung“ des Analytikers und die „Objektivität“ der Deutung kritisch als Konzepte hinterfragt, die leugnen wollen, welchen wesentlichen Einfluss die Subjektivität des Analytikers auf den analytischen Prozess hat und „dass die analytische Wahrheit gemeinsam konstruiert wird“ (Orange, Atwood und Stolorow, 2001, S. 63). Die Beziehung zwischen Analytiker und Analysanden wird so zu einer wechselseitigen, in der der Analysand der Subjektivität des Analytikers ausgesetzt ist: „Wir sind keine „Spiegelplatten“, sondern beeinflussen immer auch die Übertragung des Patienten.“ (Jaenicke, 2006, S. 24). Aber auch umgekehrt wird der Therapeut vom Klienten beeinflusst. So „nimmt die Intersubjektivitätstheorie an, dass der Analytiker ´ein Ko-teilnehmer an einem gemeinsamen, wenn auch asymmetrischen Projekt ist´.“ (Jaenicke, 2006, S. 18). Dieses Paradigma der Intersubjektivitätstheorie, das eine Veränderung beider am psychoanalytischen Prozess Beteiligter beinhaltet, steht auch im Zentrum von C.G. Jungs Verständnis der Übertragungsbeziehung (>Beziehungsquaternio: „Diese Bindung nun ist des öfteren von solcher Intensität, daß man von einer Verbindung sprechen könnte. Wenn zwei chemische Körper sich verbinden, so werden beide alteriert. Das ist auch bei der Übertragung der Fall.“ (Jung, GW 16, §358). Trotz der großen Überschneidungen wird in der Intersubjektivitätstheorie auf das Übertragungskonzept der Analytischen Psychologie nicht Bezug genommen. Dies ist wohl unter anderem darauf zurückzuführen, dass sich C. G. Jung in seinem zentralen Werk zu diesem Thema, „Die Psychologie der Übertragung“, auf die alchemistische Bilderfolge des Rosariums aus dem 16. Jahrhundert ([[>Alchemie]] bezog und damit eine Form wählte, die im modernen Diskurs der Psychoanalyse keine Resonanz finden konnte.
Literatur: Benjamin, J. (2004): Die Fesseln der Liebe - Psychoanalyse Feminismus und das Problem der Macht; Jaenicke, C. (2006): Das Risiko der Verbundenheit – Intersubjektivitätstheorie in der Praxis; Orange, D., E. Atwood, R. Stolorow (2001): Intersubjektivität in der Psychoanalyse
Autor: K. Rößler