Lebenskunst
Keyword: Lebenskunst
Links: > Ekstase > Flow > Freude > Glück > Kreativität > Pentaolon-System > Schöpferisches
Definition: C. G. Jung bezeichnet - wenn auch nur in einem Nebensatz - die Lebenskunst einmal als die vornehmste und seltenste aller Künste. Selten ist die Lebenskunst vermutlich nicht, weil sie schwerer wäre als alle anderen Künste, sondern weil Menschen offenbar sehr selten auf den Gedanken kommen, ihr Leben auch als kreativen Akt oder als > Kunst zu verstehen. Das alltägliche Leben scheint nicht so beschaffen zu sein, als dass es den Gedanken nahe legen würde, man könnte etwas Besonderes und Schöpferisches daraus machen.
Information: Für die antiken Philosophen (> Philosophie) des Abendlandes - aber auch im Hinduismus, > Buddhismus, > Taoismus (> Religion) - ist die Philosophie nicht nur eine geistige Disziplin (> Geist > Logos-Prinzip) und Wesensschau, sondern sie soll auch Antworten auf die Frage nach der alltäglichen Lebenspraxis bieten und ermutigen, aus den gewonnenen Einsichten heraus auch konsequent zu leben. Für Aristoteles bedeutet > Ethik ein Nachdenken über gutes Leben und bei Plutarch findet sich die Aussage: "Da die Philosophie Lebenskunst ist, ist es recht und billig, dass sie von keinem Spiel und von keinem Vergnügen ferngehalten wird, sondern dass sie überall dabei ist und Ordnung und Maß hinzu trägt." (Plutarch)
Die moderne > Tiefenpsychologie hat - ebenso wie dem Bereich der gehobenen Stimmungen, - der > Freude, der > Liebe und > Leidenschaft, dem > Eros-Prinzip, dem > Humor - der Lebenskunst bisher wenig Raum geschenkt. Begriffe wie Freude, Humor oder Lebenskunst findet man im Gesamtregister von Jung nicht. Bei S. Freud sieht es mit der Freude nicht viel besser aus. Immerhin hat er aber die Arbeit, Liebe und Genussfähigkeit als Ziele der Analyse definiert - auch wenn man dann wenig darüber findet, das über die üblichen psychopathologischen Beschreibungen hinausgeht. H. Kohut (> Selbstpsychologie) beschreibt in einigen kurzen Kapiteln die Eigenschaften Humor, > Kreativität und Weisheit als Ausdruck eines gesunden > Narzissmus (> Anthropozentrismus).
Insgesamt tun sich aber die tiefenpsychologischen Richtungen sehr schwer mit dem "Geschmack am guten Leben" (Gyger, 2000, Riedel, 2001) und mit der therapeutischen Berücksichtigung oder gar Vermittlung solcher lebenskünstlerischer Qualitäten wie: Liebe zum Leben (> Logos-Prinzip), Dankbarkeit, Gelassenheit, Loslassen, Anerkennung und Bestätigung schenken, Schönheit (> Schönes) würdigen, Zeit lassen, Verzeihen können, Hingabe, Verlässlichkeit, Vertrauensfähigkeit, Offenheit, Ehrlichkeit, Zugehörigkeit, Verantwortlichkeit für Leben und Umwelt, Humor, Spielerisches.
Als Jung einmal gefragt wird, worin er die grundlegenden Voraussetzungen sehe, die den Menschen glücklich machen, antwortet er: 1. eine gute körperliche (> Körper) und geistige Gesundheit; 2. gute persönliche, nahe Beziehungen wie z. B. in der > Ehe, in der > Familie und in Freundschaften; 3. die Fähigkeit, das Schöne in der > Kunst und der Natur wahrzunehmen; 4. angemessene Lebensbedingungen und eine befriedigende Arbeit; 5. Eine philosophische oder religiöse Weltanschauung, die einem helfen kann, mit den Schwierigkeiten des Lebens erfolgreich zurande zu kommen. (Jung, 1986, S. 303). Er führt dann diese Aspekte bezeichnenderweise nicht weiter aus, sondern kommt auf die Schwierigkeiten zu sprechen, sie zu realisieren.
Diese fünf Bereiche entsprechen im Wesentlichen den archetypischen Prinzipien des Pentaolon-Systems und lassen sich entsprechend weiter differenzieren: Lebenskunst könnte dann z. B. heißen: Die Erde, die Lebewesen und den Körper als großen gemeinsamen Organismus zu erkennen, sie gesund zu erhalten und ihre Entwicklung zu fördern (> Bios-Prinzip) ; sich der unauflöslichen Verbundenheit mit der Mit- und Umwelt dankbar bewusst zu sein und sie zu pflegen (> Eros-Prinzip) ; der Freude, der Schönheit und der Ekstase im Leben Raum zu geben (> Eros-Prinzip) ; die individuelle Einzigartigkeit in Leben und Beruf zu verwirklichen (> Heros-Prinzip); das > Bewusstsein zu befreien von den Fesseln der Vorurteile und den einschränkenden Überzeugungen (> Logos-Prinzip) ; sich auf das schöpferische Mysterium (> Mystos-Prinzip), als der Mitte und dem Ziel des Lebens, hin zu orientieren. (vgl. Müller, 2001)
Die archetypischen Grundstrukturen und die Ansätze der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) sind nicht nur zur Aufarbeitung von Konflikten (> Konflikt) und Komplexen (> Komplex) hilfreich, sondern lassen sich auch auf viele andere Aspekte des Lebens anwenden, die nicht unmittelbar mit therapeutischen Zielen zu tun haben.
Literatur: Kast, V. (1991): Freude, Inspiration, Hoffnung; Müller, L. (1996): Trotzdem ist die Welt ein Rosengarten; Müller, L. (2001): Lebe dein Bestes; Riedel, I. (2001): Zu Werten motivieren?
Autor: L. Müller