Mutter, Große
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Definition: Der Begriff der "Großen Mutter" leitet sich aus der Religionsgeschichte her und umfasst die verschiedensten Aspekte der Muttergöttin (vgl. Jung, GW 9/1, § l48). Die große Mutter ist der zentrale Aspekt des weiblichen Archetyps (> Archetyp > Männliches und Weibliches Prinzip). Der Begriff wird eher gebraucht, um die kulturell gestaltete Bildseite des Archetyps zu betonen, was bereits sehr deutlich wird in C. G. Jungs erster ausführlicher > Amplifikation des Themas in „Symbole der Wandlung“ von 1912 (GW 5) und in E. Neumanns „Die Große Mutter“ von 1956. Die große Mutter ist ein ewiges Bild, das sich seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte ubiquitär nachweisen lässt. Es zeigt "Mutter" Natur in ihrem lebensgebenden wie auch in ihrem lebensnehmendem Aspekt, wie sie in unendlicher Vielfalt - zeitlich, kulturell, ethnisch und geografisch geprägt - als kollektives (> Kollektiv) > Symbol der Mythologien (> Mythos) und Religionen (> Religion) sowie als Topos in > Literatur (> Dichtung) und > Kunst (> Musik) je und je erscheint.
Information: Man denke hier an die Muttergottes mit dem Jesuskind und an die Pietà-Darstellungen (z. B. Michelangelo), die Leben und Tod umfassen. Das Bild der großen Mutter ist indes nicht allein kulturell überliefert, nicht nur lebensgeschichtlich individuell erworben, sondert basiert auf phylogenetischem Hintergrund und ortet sich als präformierende Struktur (> Archetyp) im kollektiven Unbewussten (> Unbewusstes, kollektives). Auf diesem Hintergrund basierend, erscheint es in der seelischen Vereinzelung als Traumbild, (> Traum) > Imagination und > Vision in reiner, aber auch mit persönlichen Aspekten vermischter Form und kann amplifiziert (> Amplifikation) und gestaltet werden. Was in der Natur als Tod und Leben organisch ineinander übergeht, erscheint über die Zeitläufe hinweg und im psychischen Erleben als polarisiert (> Gegensatz > Polarität). Deshalb spricht Jung schon in Symbole der Wandlung von der "zweifachen Mutter", einer lebensspendenden, wachstumsfördernden und einer furchtbaren verschlingenden Mutter; > Märchen und Mythen (> Mythos) erzählen in vielfältigen Varianten vom Doppelaspekt der Großen Mutter. Als heilende, lebensschenkende Naturmutter, gute Fee und Schicksalsmacht bildet sich ihre gute Seite ab, als Hexe, Stiefmutter, böse Mutter, Zauberin zeigt sich die hemmende Kraft dieses Urbildes (vgl. Birkhäuser-Oeri, l976). Im weiteren Sinne bildet sich das Urbild in Tieren, Wasser, Wald, Baum, Acker, Garten, Fels, Höhle, Blume, Gefäß, Backofen, Kirche, Universität (Alma Mater), Stadt, und im himmlischen Gestirn des Mondes ab, um nur einige Symbole zu nennen (vgl. Jung, GW 9/1, § 156). Mythologisch vorgeformt, erkennen wir das Urbild der großen Mutter in den Mutter-, Fruchtbarkeits- und Schicksalsgöttinnen aller Kulturen und Zeiten: Madonna, Sophia, Nut, Isis, Kali, Gaia, Demeter, Ceres, Matronen, Parzen, Nornen um nur einige zu nennen (vgl. Gimbutas, l989; Neumann, l956; Motz, l997). Den Bildern entspricht aufseiten des Gefühls, um mit Jung zu sprechen, "ihre hegende und nährende Güte, ihre orgiastische Emotionalität und ihre unterweltliche Dunkelheit" (vgl. Jung, GW 9/1, § 158). Gefühl und Bild ergänzen sich zum > Symbol, das auf die Urvorstellung der großen Mutter verweist.
Literatur: Asper, K. (1987): Verlassenheit und Selbstentfremdung; Birkhäuser-Oeri, S. (1976): Die Mutter im Märchen; Gimbutas, M. (1995): Die Sprache der Göttin; Neumann, E. (1956): Die große Mutter.
Autor: K. Asper