Gegensatz
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Definition: Mit Gegensatz wird in der Philosophie und in der Logik das Nichtzusammenpassen oder die Unverträglichkeit von Sachverhalten, Überzeugungen, Handlungen bezeichnet, wobei ein Gegensatz sowohl kontradiktorisch (sich ausschließend) als auch polar (zwar entgegengesetzt, aber sich auch gegenseitig bedingend und ergänzend) sein kann. Mit der Erkenntnis der der Psyche im Tiefsten eigentümlichen Gegensatzproblematik, Paradoxie (> Paradoxon/Paradoxie/Paradoxität) und > Komplexität habe die Psychotherapie, so C. G. Jung, ein „Wespennest erster Güte aufgestört“: „Die Struktur der Psyche ist dermaßen kontradiktorisch oder kontrapunktisch, dass es wohl keine psychologische Feststellung oder keinen allgemeinen Satz gibt, zu dem man nicht sofort auch das Gegenteil behaupten müsste.“ (Jung, GW 16, § 177).
Information: Wer sich in der Theorie, im Weltgeschehen, in der therapeutischen Praxis oder im persönlichen Leben mit der Gegensatzfrage befasst, wird das sofort bestätigen. Es scheint wirklich eine „im Tiefsten“ eigentümliche Problematik der Psyche zu sein, was wohl vor Jung noch nie in dieser Klarheit gesehen und erforscht worden ist, wenn man einmal von den in den Religionen beschriebenen Gegensätzen, z. B. von Gott und Teufel, Buddha und Mara, von Heil und Unheil, oder Himmel und Hölle absieht. Die Frage, warum Jung selber nie von Polaritäten (> Polarität), sondern von Gegensätzen spricht, muss unbeantwortet bleiben. Verfolgt man seine Beschreibung der inneren Dynamik der Gegensätze, so könnte man sehr wohl von aufeinander bezogenen Polen sprechen. Man muss deshalb klar zwischen, von der Logik her, unvereinbaren Gegensätzen („tertium non datur“ – ein Drittes ist nicht erlaubt; > Dualität) und den psycho-logisch aufeinander bezogenen Polen (> Polarität) unterscheiden. Die konkrete und die symbolische Bedeutung von Hell und Dunkel ist hierfür ein gutes Beispiel. Wenn Jung von der hellen und dunklen Seite Gottes spricht, ist sowohl die Unvereinbarkeit, wie die Coniunctio ( >Coniunctio/Mysterium Coniunctionis) angesprochen: „Gott hat einen furchtbaren Doppelaspekt: ein Meer der Gnade stößt an einen glühenden Feuersee, und das Licht der Liebe überstrahlt eine dunkle Glut, [..]. man kann Gott lieben und muss ihn fürchten.“ (Jung, GW 11, § 733) Sein Werk „Antwort auf Hiob“ (vgl. GW 11) ist eine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Frage. Zugleich ist Gott die Vereinigung dieses Gegensatzes. Jung spricht direkt von der „ > Paradoxie der Vereinigung des Unvereinbaren“ (Jung, GW 12, § 186).
Aber auch im alltäglichen Leben und der therapeutischen Arbeit steht man immer wieder vor scheinbar unüberwindlichen Gegensätzen widerstrebender Tendenzen im Einzelnen wie auch in seinen Beziehungen – wahrlich ein Wespennest. Häufig wird aus der Polarität von Männlich und Weiblich oder von Gut und Böse ein unversöhnlicher Gegensatz, bis hin zur > Spaltung oder der > Projektion eigener unbewusster Anteile auf den Anderen (> Anima/Animus: Klassische Auffassung > Schatten > Ethik, neue). Dagegen sieht Jung z. B. Gut und Böse als ein im Menschen verankertes Gegensatzpaar an, „dem seienden Guten“ könne kein nicht seiendes substanzloses Böses gegenüber stehen. “Wenn man dem Guten Substanz zuerteilt“, bleibt es unausweichlich, dass „man dem Bösen gegenüber dasselbe tun muss“ (vgl. Jung, GW 11, § 247). Allerdings ist häufig – auch für einen Therapeuten – nicht klar zu erkennen, ob nicht ein > Böses durch die > Enantiodromie in ein Gutes umschlagen kann oder ein scheinbar Gutes auch zu Bösem verführt. Dies als Beispiel, in welche Tiefendimensionen der Psyche die mutige und konsequente Explikation des Gegensatzprinzips führt und welche vielleicht auch ängstigende Reichweite Positionen der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) haben können. “Die Paradoxie der Gottheit zerreißt auch den Menschen in Gegensätze und liefert ihn einem anscheinend unlösbaren Konflikt aus.“ (Jung, GW 11, § 738) So verbinden sich in der Analytischen Psychologie umfassende Perspektiven mit persönlichen Schicksalen, die ja in ständiger Begegnung und Auseinandersetzung mit inneren und äußeren Gegensätzen stattfinden.
„Das Ich bewahrt nur seine Selbstständigkeit, wenn es sich nicht mit einem der Gegensätze identifiziert, sondern die Mitte zwischen den Gegensätzen zu halten versteht.“ (Jung, GW 8, §250) Dies erinnert an den mittleren Weg des > Buddhismus als wesentliche Voraussetzung der Erlösung vom Leid. Aber auch wenn die Dynamik des Archetyps der Coniunctio (> Coniunctio/Mysterium Coniunctionis) und des > Hierosgamos auf eine Mitte als Ziel hinsteuert oder sogar hindrängt und auch wenn dahinter die > Einheitswirklichkeit, der > Unus mundus oder das Tao steht, so bleibt der Mensch in seinem Leben und seinem, auf Polarität hin ausgerichteten, Bewusstsein doch wohl der Gegensatzdynamik ausgesetzt, denn immer noch gilt Lao Tse‘s Weisheit in Bezug auf die unerkennbare non-duale Einheit von Sein und Nicht-Sein: „Beides ist eins dem Ursprung nach und nur verschieden durch den Namen. In seiner Einheit heißt es das Geheimnis. Des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis ist das Tor, durch das alle Wunder hervortreten.“ (Wilhelm, 1931, Nr. 1)
Literatur: Schlegel, L. (1977): Die Psychodynamik der Polarität in der Psychologie von Jung; Seifert, T. (1981): Lebensperspektiven der Psychologie.
Autor: T. Seifert