Schuldgefühl

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Keyword: Schuldgefühl

Links: > Ärger > Angst > Emotion > Ethik > Moral > Scham > Schatten > Stimme, innere > Über-Ich > Urschuld

Definition: Schuldgefühle sind – normalerweise als belastend und negativ wahrgenommene – Emotionen, welche oft mit psychischen und somatischen Reaktionen, z. B. Erröten, Schwitzen, Niedergeschlagenheit, depressive Verstimmung, Magenverstimmung, Schlafstörungen, Angst, verbunden sind. Schuldgefühle entstehen, wenn ein Mensch eine mitmenschliche, ethische, moralische, religiöse Norm verletzt hat, sei es in der Beziehung zu anderen oder zu sich selbst. Etwas ist nicht in Ordnung und erfordert daher Wiedergutmachung. Bekommen andere die Verfehlung mit, können zu den Schuldgefühlen auch Schamgefühle (> Scham) treten. Das Schuldgefühl trägt zur Entwicklung persönlicher und sozialer Verantwortung bei. Es tritt in der kindlichen Entwicklung relativ spät auf. Es besteht ein Antagonismus zwischen Schuldgefühlen, > Ärger und durch Ärger motivierter Aggression: Steht die Aggression im Dienste von Selbstbehauptung und Selbstentfaltung, so ist das Schuldgefühl im Dienste der sozialen Verpflichtung, einem Wir-Gefühl im Sinne verpflichtenden sozialen Zusammenlebens, und ist deswegen eher mit Angst verbunden. Überwiegt Ärger, können Menschen asozial handeln, überwiegt das Schuldgefühl, reagieren sie selbstlos, bis hin zur Selbstaufgabe oder mit großer Angst. Angestrebt werden müsste eine Ausgewogenheit zwischen Ärgeräußerung und dem Empfinden von Schuldgefühl.

Information: Die Fantasien, die mit den Schuldgefühlen verbunden sind, sind Fantasien der Bestrafung und Beschämung, und daher eng mit Befürchtungsfantasien verknüpft. Eine die Normen vertretende Instanz (> Bewusstein, kollektives > Über-Ich) bestraft das Ich, das von Angst ergriffen ist. Die Umgangssprache bezeichnet dieses Erleben als Gewissensbisse und hat dabei den aggressiven, wie den Angstaspekt mit berücksichtigt. Schuldgefühle können auch aggressiv abgewehrt werden, in dem man die Schuldigen bei den Mitmenschen oder im Schicksal sucht und natürlich auch findet. Sie können dann konkret oder in der Fantasie bekämpft werden, vor allem, indem man sie beschämt. In den Schuldgefühlen ist Angst und Ärger gebunden, und deshalb sind sie therapeutisch schwer angehbar. Statt sich über die eigene moralische Unzulänglichkeit unterschwellig aggressiv zu beklagen, müsste gefragt werden, welches Lebensthema in die Verantwortung genommen oder was gemacht werden muss, damit es gut wird. Es ist aber auch wichtig, die Angst zu erkennen, um die es geht, eine Entwicklung herausfordert zugleich aber auch Ärgern und Aggression motiviert.

Schuldgefühle werden verstärkt, wenn die Eltern (> Mutterkomplex > Vaterkomplex) die Erfüllung starrer Normen verlangen oder aber in Hinsicht auf Normen überhaupt keine Orientierung gegeben haben. Unter anderen postuliert allerdings E. Neumann auch ein primäres Schuldgefühl (> Urschuld), das sich darin ausdrückt, dass sich ein Mensch, auch ohne eine Regel zu verletzen, schuldig fühlt. Das steht im Zusammenhang mit einer negativen]] > Urbeziehung und einem ursprünglich negativen Mutterkomplex, aber auch mit dem Phänomen der Schuldverschreibung, das in individuellen Beziehungen, aber auch in der Geschichte der Menschheit eine große Rolle spielt. So wird etwa den Müttern immer wieder die Schuld an allem möglichen zugeschrieben. Viele übernehmen diese Schuldverschreibungen und werden gelähmt und depressiv. 

Literatur: Jacoby, M. (1991): Scham-Angst und Selbstwertgefühl; Kast, V. (1990): Die Dynamik der Symbole; Neumann, E. (1961): Krise und Erneuerung.

Autor: V. Kast